Palermo und Sferracavallo – 12 Kilometer zwischen Grossstadt und Fischerdorf

Wenn man von Osten kommend nach Sferracavallo will, muss man ein Stück durch Palermo fahren. Ein Verkehrserlebnis der besonderen Art ! Vor der Stadt endet die Autobahn nämlich sang- und klanglos und wird zu einer Stadtstrasse. Wir quetschten uns dort vier Spuren breit Richtung Palermo – auf einer zweispurigen Strasse ! Links und rechts preschten Roller, Busse und Lastwagen an mir vorbei – und weiter vorne ergossen sich die Fahrzeuge wie Springbrunnenstrahlen in die Strassen zu beiden Seiten – egal, von wo aus im Verkehrs-Gewühl sie diese plötzlichen Richtungsänderungen starteten. Ich fand einen kleinen Trost im Gedanken, dass sich die anderen Verkehrsteilnehmer immerhin nicht wundern würden, wenn ich von ganz rechts plötzlich ganz nach links hinüber müsste…

Gerade, als wir uns einem riesigen Stau rechts vorne näherten, hiess mich mein Navi geradeaus halten – der Stau bildete sich nämlich Richtung  Stadtzentrum, währenddem es daran vorbei plötzlich luftig wurde und ich wieder vorsichtig zu atmen begann… Phew ! Wenn es an der Peripherie so zu- und hergeht, wie sieht es da wohl in der Stadt selber aus ?

Sferracavallo. Ich stehe auf dem ‘Camping Degli Ulivi’ am Dorfrand mitten in den Häusern – nur 12 Kilometer von Palermos Stadtzentrum entfernt. Der Platz ist nicht bemerkenswert, aber er ist sehr gepflegt und sicher; das Duschwasser ist richtig heiss, die WCs sauber, und wir sind hier nur zehn Gehminuten vom Fischerhafen, von Läden und Restaurants entfernt. Es gibt 15 Parzellen, aber am Wochenende standen wir zu 20 hier, denn der Betreiber Pasquale hat ein grosses Herz und mag niemanden abweisen. Es muss das Herz sein, denn der Platz kostet nur 14 Euro die Nacht, was sehr bescheiden ist so nahe bei Palermo.

Warum Sferracavallo ‘Sferracavallo’ heisst
Die Geschichte besagt, dass bis 1750 die Strasse vom Fischerdorf nach Palermo so tief zerfurcht war durch Karrenspuren, dass Pferde darin oft ihre Hufeisen verloren auf dem Weg in die Stadt. Sferrare heisst Hufeisen abnehmen – der Ort heisst also Pferdehufeisenabnehmer’… Originell 😊

Ein typischer Wohnblock-Eingang im Dorf: 16 verschiedene Briefkästen in verschiedenen Roststadien.. Aber was für ein Entrée !

Vom Restaurant am Hafen aus sah ich durchs Fenster diese zwei Fischer im Akkord Seeigel aufmachen und diese dann den vier Frauen servieren, die draussen in der steifen, kühlen Brise sassen.

Das musste ich aus der Nähe sehen. Die Frauen schöpften die orangen Fleischteile direkt mit einem Stück Brot aus den Schalenhälften. Eine der Frauen erklärte mir, dass die Igel wie Kaviar oder Austern schmecken, also vor allem nach Meer – und ob ich gerne mal einen kosten möchte.

Ich wollte eben ‘Ja, gerne’ sagen, als die Frau einen kleinen Löffel mit einem Fleischstück darauf aus der Schale hob – und unten am Löffel wippte eine dicke, braungrüne ‘Schnudernase’, die der Wind nun auch noch langzog. Da habe ich auf der Stelle dankend abgelehnt und diese spezifische kulinarische Erfahrung auf ein anderes Mal verschoben. 

Palermo

Palermo hat mir sehr gut gefallen ! Es ist laut und farbenfroh, lebhaft und fröhlich – und es trägt eine dicke, braune Patina aus Alter und Geschichte. Im Übrigen ist die Stadt erstaunlich sauber – ausser dort, wo offene Container auf die Abfuhr warten – und Katzen, Hunde, Ratten und Tauben schon mit dem Vorsortieren in die Umgebung hinaus begonnen haben.
Palermo, das sind üppige Gemüsemärkte, Flohmärkte, Möbelmärkte, Kleidermärkte; das sind Aussenrestaurants, fliegende Verkäufer und Snackbuden für Arancini (gefüllte Reisbällchen).
Und Palermo ist Geschichte.   

Mit diesem mörderischen Freiluftzüglein bin ich vor dem Fussmarsch eine Stunde lang durch Palermo gehüpft von der Porta Nuova im Bild darüber bis zum Hafen hinunter – zusammengefasst eine lustige Sache, aber grausam für Hintern und Busen..

Bei der Pause im Hafen studierte ich die Fährenangebote. Von hier aus könnte ich nach Sardinien, Tunesien, Malta, Neapel, Genua oder Nizza reisen, und das sind noch längst nicht alle Möglichkeiten..  Cool !  

Die Kathedrale von Palermo

Diese gewaltige Kirche im normannisch-arabischen Stil wurde zwar mehrfach umgebaut im Lauf der Jahrhunderte, aber ursprünglich 1185 fertig gestellt – und deshalb wird sie auch Normannen-Dom genannt.

Der Königspalast Palazzo Reale wurde 1130 an der höchsten Stelle der damaligen Stadt erbaut und diente den Königen von Sizilien über Jahrhunderte als Residenz und Regierungssitz. Seit 1947 tagt dort das Parlament von Sizilien.

Das Teatro Massimo ist das grösste Opernhaus Italiens und das drittgrösste von Europa

Berühmt ist es unter anderem für seine Freitreppe, seinen grandiosen Säuleneingang und für eine perfekte Akustik.
Das Gebäude wurde 1897 eingeweiht, deckt über 7000 m2 und bietet 1300 Sitzplätze.

Und ausserdem wurde hier eine Schlüsselszene aus Godfather III gedreht ! Michael Corleone (Al Pacino) soll in diesem Opernhaus von einem Killer erschossen werden nach seiner Erklärung an die anderen Mafia-Mitglieder, er wolle aus dem Geschäft aussteigen. Er wird verfehlt, aber seine Tochter Mary (Sofia Coppola) wird tödlich getroffen.
(herzlichen Dank für den Film-Hinweis, Brüderchen Heiri aus New York !)

Quattro Canti (vier Ecken), ist ein von vier barocken Palästen mit konkaven Fronten eingerahmter Platz im historischen Zentrum.

Dieses Gesamtwerk wurde 1620 vollendet.
Die Fassaden sind auf drei Ebenen verziert: Die Brunnen und Statuen ganz unten symbolisieren die vier Jahreszeiten.
Auf der mittleren Ebene finden sich Statuen der spanischen Könige Karl V bzw Philipp II/III und IV, und ganz oben stehen die Schutzheiligen der damaligen Stadtviertel.

Die Skulpturen werden von Säulen eingerahmt, die von unten nach oben der dorischen, ionischen und korinthischen Ordnung folgen.

Gleich neben den Quattro Canti ein weiteres ‘Muss’: Fontana Pretoria aus dem 16. Jahrhundert. Der Brunnen galt lange Zeit als Schande, weil die Skulpturen darauf mehrheitlich nackt dargestellt sind. Heute wirkte er allerdings vor allem etwas trocken.. 😊  

Die Kehrseite des Prunks..

Dieses bis unters Dach gefüllte Auto steht an der Strasse vor dem Campingplatz und dürfte schon länger nicht mehr fahrtüchtig sein. Wenn die Koffern und Taschen draussen stehen, ‘bewohnt’ die schwerfällige Frau ihr Auto – nur gerade der Fahrersitz ist dann leergeräumt. Unser Platzchef Pasquale erzählte, dass die Frau ein Zuhause hatte bei ihrer Schwester, deren Familie aber systematisch bestahl, bis sie dort hinausgeworfen wurde.  

Auch diese Frau am Hafen von Palermo ist bekannt als Autobewohnerin, aber sie kann immerhin noch wegfahren, wenn die Polizei fragend anklopft.

Das Dumme daran, wenn man ständig Sachen findet, die vielleicht einmal nützlich werden könnten, ist, dass man damit seine Beweglichkeit einbüsst. Der Mann rechts war gerade dabei, die Container zu durchsuchen, dabei hat er auch so schon viel mehr Zeug als er bequem transportieren kann. Der Mensch, für immer ein Jäger und Sammler.

 Diese beiden Tiere in der Altstadt von Palermo sehen gut genährt und zufrieden aus – wie schön.  

Ein Denkmal für die Gefallenen im Kampf gegen die Mafia (Ai Caduti Nella Lotta Contro La Mafia).
Dazu gehören der Jurist Giovanni Falcone und seine Frau ebenso wie sein Kollege Paolo Borsellino mit fünf Begleitern, die alle 1992 Bombenattentaten zum Opfer fielen.

Das Attentat auf Falcone stürzte Italien in eine schwere Krise, nicht zuletzt wegen des berechtigten Verdachts, dass seine streng geheim gehaltene Ankunft auf dem Flughafen Palermo von Mitarbeitern im innersten Kreis der Staatsmacht verraten worden war.

Inzwischen heisst der Flughafen „Palermo Falcone-Borsellino“. Das nützt den Beiden zwar nichts mehr, ist aber eine schöne Geste.

Am 8. März schenkte der alte Platzchef allen Frauen auf dem Platz einen Mimosenzweig zum ‘Giornata della Donna’.

Habt ihr gewusst, dass das ein Internationaler – öh – Ehrentag ist ? Ich kannte ihn nämlich nicht. Meine Tochter Lisa vermutet ironisch, dass die Schmeichelei vor allem zur Ruhigstellung der Frauen dient – anstelle einer anständigen Entlöhnung. Und ? Hat es geklappt damit ?

Im Bild rechts meine fröhlichen Nachbarn der letzten paar Tage: Ralph und Helena haben gerade einmal zwei Wochen Zeit für ihre Sizilien-Tour, ehe sie wieder arbeiten müssen. Sie sind deshalb heute weitergefahren.

Auf der anderen Seite von mir steht ein schwedisches Paar, das schon seit November hier ist – und nochmals ein paar Monate bleibt. Obwohl ich es auch nicht eilig habe, von hier wegzukommen, kann ich mir nicht vorstellen, hier so lange zu bleiben. Wie gut, dass am Ende alle ihren Ort finden.. 

Diese alte Kapelle auf der kleinen Halbinsel Punta Barcarello bei Sferracavallo ist winzig, duster und voller Fotos von lieben Verstorbenen. Geld spendet hier allerdings schon lange niemand mehr, denn der Schlitz im schwarzen Spendenkasten links mit dem X drauf ist so vergrössert worden, dass man bequem hineingreifen kann – und dies wohl auch getan hat.. 

Heute hatte ich zum ersten Mal nicht das Bedürfnis, gleich beim Aufwachen die Heizung einzuschalten. Seit dem Mittag herrschen angenehme 20 Grad. Na also !

Juhui ! Es ist Frühling geworden !
Ich wünsche euch allen ein fröhliches Wochenende !


3 Gedanken zu “Palermo und Sferracavallo – 12 Kilometer zwischen Grossstadt und Fischerdorf

  1. Wir waren zweimal in Palermo und ich war jedes Mal überrascht (entsetzt) wie schmuddelig und heruntergekommen die Stadt ist, wenn man mal eine Seitengasse nimmt. Oder im Hafen. Ein krasser Kontrast zu den wirklich schönen, historischen Bauwerken.

    Tolle Fotos! Ich habe mich gern erinnernt. 🙂

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      1. Gut, dass du die Trouristenbrille auf hattest! 🙂 Gerade das hat mich nämlich so schockiert, wenn man nur ein bisschen von dem schönen Pracht-Boulevard abweicht, dann sieht man gleich den Verfall. Aber das soll natürlich niemanden abhalten! Dazu hat Palermo einfach zu viel zu bieten. 🙂

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