Mitternachtssonne in Andenes
Kleiner Nachtrag aus Andenes, ehe ich mit der Fähre nach Senja übersetzte: nach einem sonnigen Tag kam das Schauspiel der nicht sinkenden Sonne doch noch zum Tragen. Faszinierend.

Die Sonne hat es nicht geschafft bis zum nördlichen Horizont hinunter ! Dies war ihr tiefster Punkt; ich habe ihr vorsichtshalber bis 2 Uhr morgens beim vergeblichen Sink-Versuch zugesehen, weil ich es wirklich wissen wollte. Als ich aufgab, war sie bereits wieder am Steigen..
..Ich war auch nicht alleine unterwegs um Mitternacht. Die Campingplatzbewohner standen reihenweise auf der Hügelkuppe und liessen sich blenden
Der Blick nach Westen zeigt, dass die Sonne tatsächlich taghell scheint, als ob die Nacht abgeschafft worden wäre (ist sie momentan ja auch).
Nach 2 Uhr gab ich es auf und ging schlafen (Ich betrachte dieses Sommernacht-Tagschlafen als gute Vorübung für meine zukünftigen Mittags-Schläfchen, die ich mir immer noch nicht angewöhnt habe, obwohl sie so gesund sein sollen..) 😊
Senja

Eine Fähre hat mich in 100 Minuten von Andenes nach Gryllefjord auf die Insel Senja gebracht

Senja ist im Gegensatz zu den Lofoten-Inseln noch wild und rau, urtümlich und ungepützelt, also touristisch noch wenig erschlossen.
Das dürfte sich bald ändern, denn als ich den Suchbegriff eingab, wurde die Insel gleich mehrfach als ‘Geheimtipp’ gehandelt – und auch auf den vorherigen Campingplätzen wurde sie mir mehrfach empfohlen. Hoffentlich wird Senja nicht auch noch ein ‘Unesco-Welterbe’, denn dann ist es endgültig vorbei mit der Beschaulichkeit.
Apropos: ich mag den Ausdruck ‘Unesco Welterbe’ schon gar nicht mehr hören und werde diesen Titel auch dann nicht mehr erwähnen, wenn ein Landstrich oder ein Ort ihn trägt, denn im Allgemeinen ist er der Startschuss für eine Invasion, welche alles in kurzer Zeit verändert – meistens nicht zum Vorteil des damit geehrten Objektes (der Geirangerfjord zum Beispiel ist seit 2005 Weltnaturerbe – und wird seither nur so überrannt von Touristen).

In ‘Hamn’ habe ich das einzige Hotel und Restaurant angetroffen bei meiner halben Umrundung der Insel

Vorläufig besteht Senja noch vor allem aus schneebedeckten Bergen, welche steil abfallend oder sanft auslaufend die Fjorde begrenzen
Man sagt, dass ‘Senja alles kann, was auch Lofoten kann, nur besser».
Damit ist wohl dieser ursprüngliche Zustand gemeint: die Strassen sind schmal und oft holprig; hier gibt es ganz viel Natur und wenig ‘Deko’, auch Fischerhäuschen habe ich keine gesehen. Senja lädt zu Wanderungen ein; die Aussicht über die Berge muss fantastisch sein, und die Pfade sind noch weniger getrampelt als jene auf Lofoten.

Wenn das Wetter allerdings so nass bleibt wie heute, wird das nichts mit der Wanderung. Es regnet beinahe ununterbrochen seit gestern Nachmittag; ich habe deshalb meinen Aufenthalt auf dem Platz Fjordbotn Camping um eine Nacht verlängert.


Ich habe einen Waschtag eingelegt und schaue durchs Frontfenster auf den melancholisch stimmenden Fjord hinaus. Am Ufer sitzen Möwen gelassen im Regen, und die Bergkonturen verschwimmen in den Wolken.
So ! Ich habe mir im Café neben der ‘Recepsjon’ ein Glacé geholt, geniesse es an der Wärme und finde meine Aussicht auch im Regen einfach herrlich.
Gestern kam ich auf dem Weg hierher am Senjatrollet-Park vorbei
Der Park mit Souvenirshop, Bar und Café ist einer der Ansätze für Tourismus auf Senja. Sein Thema ist ‘Hulder und Troll’ und alles, was dazu gehört. Süss gemacht.
Eine Hulder ist laut der nordischen Folklore eine verführerische Waldfee und Schutzgeist der Köhler (sie weckt den Köhler, falls in seinem Meiler ein Brand droht). Die schöne Frau mit langem blondem Haar trägt hinten herum allerdings einen angewachsenen Kuh- oder Fuchsschwanz, den sie unter ihren Röcken zu verstecken sucht. Sollte man eine Hulder antreffen, darf man niemals eine spöttische Bemerkung über den Schwanz machen, sonst kann es sein, dass man für immer im Schattenreich der Naturgeister verschwindet.

«Ein junger, hungriger und erfolgloser Fischer begegnete einer Hulder am Fluss. Er sah ihren Schwanz, verneigte sich tief und machte die ehrenwerte Dame galant darauf aufmerksam, dass da wohl ihr Unterrock etwas hervorblitze. Die so Angesprochene versteckte den Schwanz, bedankte sich und empfahl dem Jungen, am gegenüberliegenden Ufer zu fischen, von wo er alsbald einen Korb voller Fische heimbringen konnte». (Das schöne an klassischen Sagen ist oft, dass einer Tat umgehend die Belohnung oder Bestrafung folgt, womit sämtliche falschen Schlüsse aus der Lektion fürs Leben verunmöglicht werden).
Wenn ein Mann eine Hulder heiratet, bringt sie ihm bei liebevoller Behandlung Kindersegen und Reichtum, bei schlechter verwandelt sie sich in eine boshafte Furie. (…könnte es sein, dass Huldrer viel weiter verbreitet sind als bisher vermutet wurde…?! 😊)

Sieh sie dir an, sagte die Trollmutter. Sieh dir meine Söhne an ! Du wirst keine stattlicheren Trolle finden auf dieser Seite des Mondes !
(aus der Geschichtensammlung ‘Among Pixies and Trolls’)
Trolle sind Berggeister. Gemäss der nordischen Mythologie hausen sie in Utgard (Aussenwelt), die Menschen in Midgard (Erde) und die Asen in Asgard (Götterwelt).
Über die oft zitierte REGENBOGENBRÜCKE zwischen Midgard und Asgard, also der Verbindung zwischen Erdenwelt und Himmelreich, schritten einst die Götter, währenddem die Brücke heutzutage (gemäss Facebook) ausschliesslich den Hunden und Katzen – und gelegentlich einem Kaninchen oder Meerschweinchen – zur Benutzung vorbehalten bleibt. Seltsame Welt, nicht wahr ?

Aber zurück zu den Trollen: je nachdem, wo man hinhört, sind Trolle verschlagene Unholde oder freundliche, simple Naturburschen. Mir gefallen die liebenswerten, kauzigen Waldriesen, die niemandem etwas tun (oder höchstens, weil sie ihre Kraft gelegentlich unterschätzen) und am liebsten zufrieden an ihrem Feuer im Berg sitzen oder (eher aus Versehen) Gutes bewirken.

Leider musste ich noch weiter fahren, sonst hätte ich gerne von dieser «Hulder- und Troll-Medisinering» gekostet. Sie sieht sehr wirksam aus..
Zurück auf dem Platz in Fjordbotn
Der Pfälzer Dieter macht jedes Jahr eine Solo-Motorrad-Reise, und seine Frau betreut derweil ihre vielen Haustiere daheim. Hier in Fjordbotn bewohnte er dieses kleine ‘Diogenes-Fass’ und hat zu meinem Kaffee köstliche Apfeltorte vom Café auf dem Platz mitgebracht.
Wir haben uns gegenseitig unser Mitgefühl für das lausige Wetter bekundet, wobei es ein Motorradfahrer natürlich viel unmittelbarer zu spüren bekommt. Dieter kommt in letzter Zeit oft tropfnass und frierend auf den Plätzen oder im Hotel an.
Wenn das so weitergeht mit dem Regen, meinte er, wird er sich vom Hurtigruten-Schiff so weit in den Süden bringen zu lassen, bis er den Sommer wieder eingeholt hat.
Als ich heute um 8.30h gähnend die Markisen hochschob, war Dieter bereits abgereist.
Recht hatte er: am Morgen schien noch die Sonne, ab Mittag wurde es wieder unbeständig. Hurtigruten-Wetter, schätze ich..

Aufbruch-Morgen. Die Sonne erhellt die Berge an der gegenüberliegenden Fjord-Küste. Ich habe beschlossen, dass durchaus Wetter-Hoffnung besteht. Das Wetter-App sieht viel Regen für die Zukunft, aber es weiss ja auch nicht alles (hoffentlich..)



100 Kilometer vor Tromsø kam ich bei den Samen vorbei.
Oder besser gesagt an einem schicken ‘Sami Shop’ im Zelt. Von aussen sieht der Laden ‘heidilandmässig’ urtümlich aus, im Innern ist es beinahe ein modernes ‘Shopping Center’ mit allem, was dazugehört.

Beim Eingang im grossen Zelt brennt ein offenes Feuer, und an ein paar Tischen daneben kann man von der im grossen Kessel köchelnden Rentiersuppe essen; neben den Rentierfellen, Geweihen und Trockenfleisch gibt es aber auch edle Lammfellsocken, Mohairunterwäsche und teure Markenjacken zu kaufen. Und Nordlicht-Tee, Flechten-Kosmetik und natürlich endlos Souvenirs.

Das europäische Urvolk der Samen nennt sich selber Sámi: ‘Sumpfleute’. In der Schule lernten wir sie noch als ‘Lappen’ kennen, als Nomaden, welche den wilden Rentieren auf deren ‘Futter-Wanderungen’ folgten und mit und von ihnen lebten. Geschätzt sind noch 100’000 Samen übrig geblieben, die meisten davon in Nordnorwegen, weitere in Schweden, Finnland und Russland. Ihr Siedlungsgebiet über die Landesgrenzen hinweg nennen die Samen Sápmi.

Lediglich 4% der Bevölkerung innerhalb dieses Gebiets sind noch Samen, und davon wiederum leben gerade noch 10% von und mit Rentieren. Heute sind die Rentiere auch nicht mehr wild, sondern gezüchtet, und die Herden-Überwachung in den riesigen, eingezäunten Gebieten wird mit Schneemobilen oder Motocross-Motorrädern betrieben.

Die Samen sind übrigens- zusammen mit Chinas Mongolen – Anwärter auf den Titel ‘Erfinder des Ski’. Sprachforscher vermuten sogar, dass der Name Skandinavien auf Skadi, die Göttin der Jagd und des Skilaufs zurückgehen könnte. Erfunden wurde das Skilaufen tatsächlich für die winterliche Jagd.

200 Kilometer – und unzählige Fjorde und Schneeberge später – bin ich in Tromsø angekommen. Dort drüben liegt das Schiff der Hurtigruten, und mein Campingplatz ist ganz in der Nähe.
Ich wurde öfter schauerlich verregnet unterwegs – und dann wieder von der Sonne geblendet. Also gut: das Wetter-App scheint doch mehr zu wissen, als ich ihm zugetraut hätte.. 😊

Ich bin furchtbar enttäuscht ob dem Mangel von ums Feuer tanzenden Nackigen. Schlechtes Marketing, furchtbarer Tourismus-Service, Hexen-Gewerkschaften wehrt euch!
…sonst sehr hübsch… 🙂
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hihiiiii !
Jetzt, wo du’s sagst, fällt es mir auch auf… (vermutlich war es schon immer zu kalt für solche Spässe, und das frivole Tun war schon immer reine Legende…). Vorsichtshalber höre ich mich aber nochmals um bei den lokalen Hexen… 😊
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