100 Jahre ‘Trondhjemsridtet-Biker-Rally’, Perspektiven und mein erster Fjord

Ich hatte vor, ganz schnell in den Norden von Norwegen zu fahren und danach langsam südwärts zu driften.

Ich komme jedoch längst nicht so zügig voran, wie ich mir das vorgestellt hatte: Skandinavien hat sich vorgenommen, die Zahl von Verkehrsunfällen drastisch zu reduzieren, und das tun sie hier, indem die erlaubten Höchstgeschwindigkeiten überall gesenkt – und rigoros überwacht – werden. Was mir gefällt: auf den Geschwindigkeits-tafeln heisst es z.B. ‘50’ und darunter ‘in 200 Metern’, da hat man Zeit abzubremsen. Bei uns steht dort ja bereits die Kamera…

Man darf auch oft nur 70 kmh fahren, sogar dann, wenn man, wie ich gestern, stundenlang praktisch allein durch Wälder und über Hügel fährt. Vor Schulen wird sogar auf 30 kmh reduziert, und man hält sich besser daran, sonst hebt man ab bei den steilen Buckelauffahrten vor den Fussgängerstreifen..

95_1_Stöllet
Meine schöne Aussicht auf den Fluss Klarälven, wo ich ganz allein am Ufer stehe, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich ausgerechnet am schwedischen Nationalfeiertag, dem 6. Juni, mitten in Schweden auf einem rein holländischen Campingplatz stehe.

Die Besitzerin ist Holländerin, ausser mir sind es sämtliche Gäste ebenfalls (sie ballen sich oben auf der flachen Fussballwiese – und alles ist überall in Holländisch angeschrieben ! Ich habe mich damit getröstet, dass ich die schwedische Nationalhymne eh nicht mitsingen könnte.. Sie heisst: «Du gamla, Du fria, Du fjällhöga nord» (Du alter, du freier, du gebirgiger Norden..).

(Die norwegische Hymne sagt: «Ja, vi elsker dette landet..» (Ja, wir lieben dieses Land) und hat acht Strophen. ACHT ! Wir sind schon mit unseren vier Strophen völlig überfordert..)

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Auf dem Weg nach Norwegen: See mit Brautschleier. Schön. Jedenfalls so lange, bis es wie aus Kübeln zu schütten begann zehn Minuten später..

95_3_Langsjönsee
Ich liebe Wasser ! Solange ich nicht drin sein muss, sondern es mir von draussen ansehen kann.. 😊 (ausser, es hat 20 Grad zu bieten – mindestens!)

Ich weiss nicht, wann ich in Nowegen angekommen bin – ich bin einfach dem Fluss Klarälv nordwärts gefolgt, welcher sich in tausend Windungen durch die Gegend schlängelt, mal ruhig und dunkel Inseln umfliessend, mal hüpfend und über Steine sprudelnd. Und plötzlich hiessen die Orte nicht mehr Öresund, sondern Øresund (dem Sinn nach..). Und aus dem schwedischen Fluss Klarälv wurde die norwegische Trysilelva.

95_4_Langsjönsee
Kurz vor dem Regen am Langsjøen-See auf meinem ersten norwegischen Campingplatz – Ist das schön hier !

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A Sauna with a View ! Auf den Plätzen hier gibt es oft Saunas. Hier musste ich ich mich danach aber tatsächlich in den See stürzen – wobei ‘stürzen’ nicht ganz richtig ist – ich stürze mich nicht – ich fühle mich sachte hinein und leide !

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Falls hier der Eindruck entstehen sollte, dass ich ganz allein über dem See stehe…

95_7_Stellplatz_Perspektive
..Der Eindruck täuscht – alles bloss eine Frage der Perspektive.. 😊

Auch hier gibt es viele Dauercamper. Drüben hämmert einer an seinem entstehenden Wohnwagen-Vorbau, Boote werden zu Wasser gelassen und Grills hervorgekramt. Eine Familie im Wohnwagen unterhalb ist eben angekommen, und der Mann hat drei Bäume angebohrt, bis seine Satellitenschüssel endlich die gewünschten Signale empfängt.

95_8_Stellplatz_ViewMeine Aussicht ist aber ganz in Ordnung

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Wenn man dem See entlang spaziert, ist man bald wirklich allein – hier hat es Gegend zum Verschwenden – und keine Menschenseele weit und breit. 

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‘Zauberwälder’ in Norwegen. Sie sehen aus, als ob ein dicker, heller Teppich zwischen den Bäumen und die Hügel hinauf ausgelegt worden wäre. Es ist ein Flechtenwald der Sorte Cladonia stellaris.

Flechten sind ein guter Luftreinheits-Indikator, denn sie reagieren sehr sensibel auf Schadstoffe, weshalb sie selten in Städten anzutreffen sind. Im Winter fressen Rentiere und Elche gewisse Flechten-Arten; es gibt sogar Schmetterlinge, die sich auf dieses Nahrungsmittel spezialisiert haben. Und natürlich werden sie auch als Medizin eingesetzt – ‘Irisch Moos’ für Hustensäfte ist ein bekanntes Beispiel dafür.

95_11_Flechte

Die Flechte Cladonia Stellaris ist bei Berührung so fest (beinahe ‘knusprig’, als ob sie fritiert worden wäre), dass sie auch als Baumkronen für Modelleisenbahnanlagen verwendet wird

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Pfingstsonntag. Heute früh gab’s auf dem Campingplatz am Langsjøen-See eine nette Überraschung: der Veteranen-Bikerclub kam mit 100 Maschinen auf den Platz gefahren zu ihrem 100-jährigen Jubiläumsrally ‘Trondhejmsridtet’ von Oslo nach Trondheim und zurück, 1200 km in 4 Tagen.

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Das war ein Geknatter und ein sattes Brummen, dass es eine Freude war. Während der Frühstückspause hier wurde vieles aufgefüllt, geölt, notdürftig geklebt und gegenseitig begutachtet.

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95_16_TrondhjemsridtetAls die letzten der 100 Bikes eintrafen, um sich nach der langen, regnerischen Fahrt am offenen Feuer aufzuwärmen, hatten sich die ersten bereits wieder auf den Weg gemacht. Jetzt war es auch für mich Zeit, aufzubrechen.

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Unterwegs. Wälder und Wasser, das ist Skandinavien.

In Norwegen kommen dazu noch viele Berge; der höchste bringt es auf knapp 2500 Meter. Vieles kommt mir hier bekannt vor. Ausser die Sprache natürlich, die sich in Norwegen dummerweise auch noch deutlich von schwedisch unterscheidet, leider aber nicht deutlich genug, um ein Durcheinander zu vermeiden..

95_18_Trondheimfjord
Strindfjorden bei Malvik, ein Arm des Trondheimfjords

In Trondheim befinde ich mich inzwischen auf 63° Nördlicher Breite – und an meinem ersten Fjord.
Sonnenuntergang ist um 23.30h, Sonnenaufgang um 03.00. Wenn man also die Gewohnheit hat, erst im Dunkeln schlafen zu gehen und beim Morgengrauen zu erwachen, kommt man definitiv zu kurz..

95_19_Mitternacht
Dieses Bild habe ich um Mitternacht gemacht. Wir stehen hier in vier Etagen

Heute Pfingstmontag-Morgen sind die meisten da unten abgereist – und inzwischen hat sich alles wieder schön aufgefüllt. Dies ist eine Durchreisestation auf dem Weg zu den Lofoten-Inseln (auf der Karte weiter unten sind sie das Schwänzchen unter dem ‘M’ vom Hymer).

95_21_Fjord
Geologisch gesehen ist ein Fjord eine oft von steilen Klippen eingefasste Meer-Einbuchtung ins Land hinein. Sie wurde von einem Gletscher auf seinem Weg zum Meer so tief in ein bestehendes Flussbett gegraben, dass der Talgrund weit unter Meereshöhe zu liegen kam, manchmal bis 1000 Meter darunter. Als dann das Eis schmolz, füllte Meerwasser diese Rinne auf. Et voilà: ein Fjord – ein kleines Meer im Landesinnern.

Übrigens: wenn die durch den Gletscher geformte Rinne statt durch Meerwasser (=Fjord) durch Regen- und Schmelzwasser aufgefüllt wird, heisst sie Alpenrandsee. Eigentlich sind alle unsere Seen in der Schweiz so entstanden, vom Genfersee über den Hallwiler- bis zum Bodensee und zum Lago Maggiore.

95_22_Fjord
‘Mein Trondheimfjord’ ist nicht von dieser Sorte. Er sieht aus wie ein riesiger See mit glatter, seidig glänzender Oberfläche. Auch hier wird gefischt, und draussen ziehen zwei Kanus neben der kleinen Insel vorbei.

95_20_Norwegen Karte
Auf den Karten oben (rechts vom Heck meines WoMo-Nachbarn einen Stock tiefer) erkennt man gut die ‘ausgefranste’ Nordmeer-Küste.

Es gibt beinahe überall auf der Welt Fjorde im geologischen Sinn, in Norwegen sind sie aber so zahlreich (beinahe 1200), dass seine Küstenlinie von eigentlich 2500 km auf eine Gesamtlänge von sagenhaften 29’000 km kommt. 

Ich habe es gestern nur gerade bis hierher geschafft, obwohl ich beinahe fünf Stunden unterwegs war für die knapp 300 km. Da ich abwechselnd von der Sonne verbrannt und wieder verregnet wurde, hatte ich allerdings auch nichts Besseres vor..

95_10_MatschwieseAm Abend habe ich mich auf einer Wiese niedergelassen, und heute bin ich in einem Schlammfeld erwacht nach der regnerischen Nacht.

Hoffentlich komme ich da selber wieder heraus. EINEN Vorteil hat es ja: kein anderer wird so doof sein, sich neben mich zu stellen, also habe ich die Attika-Wohnung hier oben für mich allein. Ich glaube, ich lasse die Sache etwas trocknen bis morgen…

PS Das war jetzt ein ziemlich wässriger Beitrag. Ich muss unbedingt versuchen, etwas Trockenes zu finden…😊

2 Gedanken zu “100 Jahre ‘Trondhjemsridtet-Biker-Rally’, Perspektiven und mein erster Fjord

  1. Katharina und Hansruedi Steinmann

    Liebe Rosa
    Ich habe es bereits 3x geschafft, meinen wohlformulierten Kommentar zu deinem Blog verschwinden zu lassen, darum hier eine Kurzversion :-).
    – Wir haben uns in Ekshärad knapp verpasst, wir haben von Freitag auf Pfingstsamstag bei der neuen Stabkirche übernachtet. Am Abend hat uns dann wirklich noch ein Elch besucht: er galoppierte an uns vorbei und graste unweit unseres WoMos bevor er dann wieder elegant davontänzelte. Welche Freude so am Ende unserer Skandinavienreise!
    – Hast du dich auch schon mit den Norwegischen Landschaftsrouten auseinandergesetzt (www.visitnorway.de). Uns hat die Helgelandskystern sehr gut gefallen, allerdings würden wir die ein nächstes Mal von Nord nach Süd fahren, dann ist man auf der spannenden Küstenseite.
    – Du fragst, was wir dir empfehlen können? Die Inseln Andöya, Senja und Kvalöya fanden wir sensationell, Senja fast noch schöner als die Lofoten. In Tromsö hat uns die Domkirken viel besser gefallen als die Eismeerkathedrale. Ein Ausflug mit dem „Cable Car“ auf den Aussichtspunkt Fjelheisen ist auch sehr schön – es hat einfach Unmengen Leute da oben, aber die Aussicht auf Tromsö und die Inselwelt rundherum ist beeindruckend.
    – Da wir die meiste Zeit ausserhalb von offiziellen Camping- oder Stellplätzen übernachteten, sind unsere Erfahrungen mit solchen Übernachtungsorten sehr gering. Gefallen hat es uns am Raftsund auf dem einfachen Campingplatz Raften. Die Fahrt durch den Sund (auch am CP vorbei bis nach Digermulen) ist sehr schön und die Hurtigrutenschiffe fahren nirgends näher an dir vorbei wie hier in diesem engen Durchgang zwischen zwei Fjorden.
    Wir haben für Mittwoch die Fähre nach Rostock gebucht :-(:-(:-( und gondeln dann gemütlich der Heimat entgegen – die Enkelkinder freuen sich bereits auf uns und wir uns natürlich auf sie.
    Wir hoffen, dass du es mindestens bis nach Tromsö schaffst und dir noch die eine oder andere Insel, den einen oder anderen Fjord (der Geirangerfjord ist – trotz allen Touristen und dem Chaos auf den Zufahrtsstrassen, wenn zwei oder drei Schiffe vor Anker liegen – wunderschön), die eine oder andere tierische Überraschung und die Höhen und Tiefen der Landschafts Norwegens „einverleiben“ kannst.
    Falls du irgendwann wieder einmal in der Schweiz bist – wir würden uns wirklich über einen Besuch von dir freuen. Es gäbe auch nicht nur Wasser… 🙂 und wir haben einen wirklich schönen Balkon mit Blick ins Grüne :-).
    Geniess die Zeit der Entschleunigung, der unerwarteten Begegnungen (z.B. mit einem Elch) und die unerhörte Schönheit Norwegens.
    Liebe Grüsse und „heb der Sorg“
    Katharina und Hansruedi

    PS: Gäll, der Begriff „Kurzversion“ für meinen Kommentar ist nicht ganz korrekt, sorry!

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    1. Liebe Katharina und Hansruedi
      Ha ! Das kenne ich mit dem Ins-Nirvana-Versenden ! Danach notiere ich mir eine Weile lang alles auf einer Word-Datei, und natürlich klappt es tadellos, bis ich die etwas umständlichen Entwürfe wieder aufgebe.. 😊

      Ah , tatsächlich ? Ihr wart auch in Ekshärad ? Ich hatte euch weiter nördlich vermutet – und danach viel schneller im Süden – nun ja !
      Um den wilden Elch beneide ich euch natürlich sehr ! Der fehlt mir noch in der Sammlung.

      Wie du richtig sagtest: wir haben ja Zeit – auch zum Lesen ! Tausend Dank für alle eure Tipps ! Ich bin sehr froh darum, denn ich habe noch keine Ahnung, und es ist gut, wenn man sich an Informationen festhalten kann.

      Euch wünsche ich eine gute Überfahrt und entspannende Reise nach Hause – bis dereinst in der Schweiz !😊
      Liebe Grüsse inzwischen (öh… immer noch aus Trondheim, aber es wird Zeit aufzubrechen – tschüss !)
      Rosa

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