Camping am Rennsteig – Erinnerungen aus dem Thüringer Wald

Gestern fuhr ich durch die Lüneburger Heide und stellte fest: Deutschland ist richtig schön !
Alles ist etwas grösser als bei uns und der Blick weiter, da ihn keine hohen Berge auffangen. Man sieht deshalb weit hinaus über die niedrigen Hügelzüge, über grosse,  frühlingsgrüne Felder und Wiesen, über langgezogene Wälder mit leuchtenden weissen Blütensäumen. Viele Dörfer haben einen hohen Anteil an behäbigen Fachwerkhäusern mit backsteinroten Ziegeldächern. Schön !

Es gibt allerdings auch hier grosse Windkraftanlagen, die mir immer noch nicht ganz geheuer sind mit ihren Riesenpropellern, und ganze Felder stehen voller Solarpanelen. Wir werden uns wohl an den Anblick von beiden gewöhnen müssen, wenn es uns ernst ist mit der sauberen Energiegewinnung.

1_RennsteigMein Standplatz hier war derjenige des blauen Buses gleich links neben den Sternchen. Oben rechts Reception und das Valentins-Stübchen mit Bar, gegenüber das Sanitärhäuschen mit Duschen, WC und Abwaschstation.

Ich muss etwas einzugeben haben im Navi, sonst verfahre ich mich zuverlässig, also wähle ich als Ziel jeweils einen Campingplatz, der ungefähr in der gewählten Richtung liegt, in zwei, drei Stunden erreichbar ist und nicht nur schlechte Bewertungen hat. Bisher hat das wunderbar geklappt: entweder war der Platz wunderschön oder von ihm aus war eine Stadt mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar – im Idealfall kriege ich sogar beides (und im Winter wähle ich den Platz, der offen hat. Der ist dann schön, weil er offen hat.. 😊).

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Mein Häuschen im Thüringer Wald

Die letzten Kilometer vor dem Campingplatz führten auf einem schmalen Feldweg zwischen grünen Wiesen und blühenden Obstbäumen hindurch, und ich war froh, dass keiner der Spaziergänger, die mit ihren Hunden unterwegs waren, mir erbost nachgeschaut hat. Also scheine ich wohl nicht die einzige zu sein, deren Navi sie hier entlang schickte. Und schon war ich im Thüringer Wald auf dem Rennsteig.

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Der Rennsteig ist ein 170 km langer Bergkammweg, der vom Thüringer Wald über das Schiefergebirge bis zum Frankenwald hinunter reicht. Beim grünen Sternchen liegt Finsterbergen.

Dies ist ein viel bewandertes Gebiet Deutschlands. Hier gibt es auch etliche Orte, die sich sogar als ‘Höhenkurort’ anpreisen, da sie doch glatt auf 800 Metern liegen ! Es ist schön hier, und ich könnte mir so eine Kammwanderung gut vorstellen, habe aber dennoch nur einen Spaziergang geschafft.

Auf dem Campingplatz ‘Rennsteig am Valentinsteich’ gibt es Platz für gerade mal 30 Fahrzeuge. Man merkt, dass die Besitzer viel Aufwand mit ihrem Projekt betrieben haben: da gibt es ein gemütlich eingerichtetes Stübchen mit Bar für die Gäste, einen kleinen Teich im nahen Wäldchen, schöne Sanitäranlagen – und die Besitzer mit ihrem erwachsenen Sohn erledigen alle Arbeiten selber. Der Sohn hat auch die Getränkekarte umbenannt, und so gibt es zum Beispiel statt ‘Sex on The Bech’ ‘Sex on the Valentinsteich’, und seine bunten Saft-Cocktails mit fantasievollen Namen sind sehr beliebt bei den Kindern auf dem Platz.

Das also ist Ostdeutschland oder die ehemalige DDR von 1949 bis 1989/90. Natürlich fragte ich den Platzbesitzer Peter gleich, wie ‘es’ denn war, damals…

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Peter stand am Holzkohlegrill, auf dem er jeden Dienstag Abend die berühmten Thüringer Bratwürste brutzelt für seine Gäste (2 Euro das Stück samt Brötchen), und er beeilte sich, mir zu versichern, dass es ihnen gut ging damals, jetzt allerdings besser !

Als die ersten Wessies auf seinen Campingplatz kamen, erzählte er, hätten sie immer wohlwollend bemerkt, dass er es nun ja schön habe – dank ihnen, sozusagen. Er sagt es gelassen, aber man ahnt noch den Ärger, den diese herablassende Bemerkung zum vermeintlichen ‘Hinterwäldler’ einst hervorrief.

Dann begann er zu erzählen. Mir ist zwar längst nicht alles in Erinnerung geblieben, aber seine Informationen waren faszinierend. Sie wurden ergänzt von einer Frau aus der Gegend, die sich später zu uns gesellte:

– Brötchen kosteten während all den DDR-Jahren immer 5 Pfennige das Stück. Alle Dinge für die Grundbedürfnisse waren sehr billig.
– Für sein Haus bezahlte er 42 Mark Miete im Monat.
– Aller Luxus war teuer. Professoren und Fabrikarbeiter verdienten ziemlich gleich wenig. Dass man also zwei Jahre auf einen Fernseher zu warten hatte, war in Ordnung – so lange dauert es bei 500 Mark Monatslohn ja mindestens, bis man die 3000 Mark zusammen hatte. Auf einen Trabi wartete man ab Bestellung bis zu zehn Jahre lang.
– Meine Vorstellung von einer technisch zwar zurückgebliebenen Gegend, dafür aber ländlichen Idylle, in der alle zufrieden Kartoffeln anbauten und Hühner hielten, ging nahtlos unter im Gelächter meiner Gesprächspartner: Nein, sauber war es nicht in der DDR; Kohleabbau und Industrien legten einen schmutzigen Film über die Städte.
– Frauen waren aber ganz selbstverständlich gleichberechtigt und erhielten auch den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit wie Männer. Kinderkrippen wurden vom Staat gestellt und finanziert. Frauen mussten sich das Arbeiten auch nie vom Mann ‘erlauben’ lassen.
– Weniger prüde als die Wessies waren sie sowieso: die Mütter gingen mit ihren 15-jährigen Töchtern zum Arzt, um ihr die Pille zu verschreiben lassen, als bei uns heimliche Abtreibungen noch gang und gäbe waren. FKK-Strände waren praktisch die Regel.
– Westprogramme in Radio und Fernsehen waren durchaus zu empfangen, und beides wurde rege genutzt (heimlich halt)
– Die Regierung wurde nie müde zu betonen, dass die Grenzmauer dazu diene, unerwünschte Elemente draussen zu halten, nicht die eigenen Bürger drinnen. Dass die Bürger dennoch nicht reisen durften, war ganz klar zu ihrem Schutz, weil…. weil… WEIL halt ! Ja, das leuchtet ein.
– Aber, sagte Peter, es ging uns gut ! Wir standen einander bei, und wir wussten, was draussen in der Welt vor sich ging.
Am meisten gelitten hätten wohl die Menschen mit Familie jenseits der Mauer. Oder Leute, die eine Geschäftsidee hatten, die sie nicht umsetzen konnten. Und die Intellektuellen, die sich gerne ausgetauscht hätten mit Gleichgesinnten anderer Länder und Kulturen.

5_ValentinStüble
Stammtisch: Platzbesitzer Peter sieht nach, was der Wohnwagen, für den ihm ein Gast kurzerhand den Schlüssel in die Hand gedrückt hat als Geschenk, noch für einen Wert hat (die zweite Frau des Wohnwagenbesitzers hatte es ganz plötzlich ganz furchtbar satt zu hören, wie viel besser ihre Vorgängerin das Campieren verstanden hatte..).

Der Wert des Wagens ist deutlich höher als erwartet. Das Campen ist immer noch im Aufschwung, die Verkaufszahlen für Wohnmobile und Wohnwagen immer noch überall steigend. Ich finde das ziemlich alarmierend…

Peters Idee mit dem Campingplatz auf seinem Grund war im Dorf mit Spott begrüsst worden: «Wer will denn schon nach Finsterbergen kommen, du Fantast. Du wirst so richtig auf die Nase fallen, wirst schon sehen !» Peter liess sich nicht beirren, baute eigenhändig seine Infrastruktur, und als 2004 die ersten Wohnwagen auf seinen Platz rollten, meinten die Leute: «Aha ! Der Herr Peter kann den Hals wohl nicht voll genug kriegen, was ?!»

Diese Haltung kommt einem doch gleich bekannt vor, oder ? Eine ähnliche Geschichte könnte von ziemlich überall stammen.

6_unterwegs

PS Ich erhebe keinen Anspruch auf die Vollständigkeit solcher Geschichten. Mir ist sehr bewusst, dass es noch vieles über das Leben in der DDR zu erzählen gäbe.
Aber ich zitiere, was ich vernommen habe – und ich muss nicht alles wissen. Was ich erfahre, ist ebenso authentisch wie bereichernd – und reicht mir jeweils völlig für den Moment..

Nun muss ich aber wirklich los – die Platzchefin hier in Hamburg (davon bei nächster Gelegenheit) hat mir eine Gnadenfrist eingeräumt bis 14.01h. Ich habe also noch 12 Minuten.
Ich habe vor, nach Kiel zu fahren und von dort die Fähre nach Göteborg zu besteigen, falls ich noch einen Platz finde. Falls es nicht klappen sollte, dann schauma mal…

Schlusspunkt:
7_FensterSchliessen
Das dürfte ein biiisschen schwierig werden, da ich mein Zauberstöckchen gerade nicht dabei habe..😊  

6 Gedanken zu “Camping am Rennsteig – Erinnerungen aus dem Thüringer Wald

  1. Avatar von Henriette Streuli Henriette Streuli

    Liebe Rösli, dann bist du jetzt im hohen Norden, danke für dein ausführlichen Bericht bei den „ossis“, habe mal eine Fernsehsendung gesehen über diese Bergkette…imposant!
    Passe gut auf dich auf und ganz liebe Grüsse aus Oberrüti!

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    1. Liebe Henriette
      Ja du – hoher Norden beschreibt es schön ! Es ist frisch hier ! Und windig ! Viel ‚höher‘ sollte also der Norden nicht mehr werden in nächster Zeit, wenn ich wählen darf. Ich hatte übrigens noch nie vom Rennsteig gehört, bis ich da war – du hättest eindeutig mehr Vorwissen mitgebracht. Macht nichts, ich habe es ja dann doch noch begriffen 🙂
      Ich wünsche dir einen lauwarmen Frühling und viel Sonnenschein !
      Bis nächstes Mal – liebe Grüsse aus dem Ikea-Land !

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  2. Avatar von Vreni Dill Vreni Dill

    Hallo Rösli, ja siehst du, Deutschland ist wirklich toll. Ich fahre am Sonntag für 1 Woche nach Wismar an der Ostsee. Darauf freue ich mich riesig. Du wirst garantiert noch einige schöne Orte finden, ob Osten oder Westen.
    Weiterhin viel Spass.
    Sei herzlich gegrüsst. Vreni aus dem Baselbiet. 🙋‍♀️😀😎

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    1. Salut Vreni
      Schön, von dir zu hören ! Toll – ich wünsche dir schon jetzt schöne Ferien in der Hansestadt Wismar (grins..).
      Ja, ich muss unbedingt noch mehrmals nach Deutschland reisen, gehe aber zuerst die entfernteren Ziele an; auf die näher gelegenen kann ich auch später zurückkommen (habe ich mir gedacht – mal sehen..).
      Jetzt kommt zuerst Schweden dran – ich hoffe einfach, dass es auch hier bald etwas wärmer wird. Denn das hier am Meer ist keine Brise, sondern eher ein ausgewachsener Wind ! Brrrr ! Aber ich kann ja warten und es mir inzwischen gemütlich machen.
      In diesem Sinn bis nächstes Mal, liebe Grüsse aus Asa (mit Rundumeli auf dem ersten A) ! Rösli

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    1. Liebe Freya
      Was für eine nette Überraschung – herzlichen Dank für deine Nachricht ! 😊
      Ich schaue mir deine ‘Blogparade’ gerne mal an – für heute habe ich allerdings bloss noch das Restaurant in Hedesunda auf meinem Plan..
      Dann also bis dann, liebe Grüsse aus dem seenreichen Norden !
      Rösli

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