Gleich vorweg: Die Altstadt von Venedig ist absolut bezaubernd ! Sie sieht genau so aus wie in all den Filmen und Reisebroschüren, sobald man die schnöden Industriezonen ausserhalb hinter sich gelassen hat und und an der Piazzale Roma ankommt nach dem ersten grossen Wasser.
Die Stadt der Lagunen hat eine lange, reiche Geschichte, tausend verborgene Winkel, einer schöner als der andere, und da es auf der Insel keine Industrie gibt, ist die Idylle perfekt, und alles ist Genuss, Leichtigkeit und Eleganz.

Die Rialto-Brücke ist die älteste der vier Brücken über den Canal Grande; diese Steinkonstruktion stammt aus dem Jahr 1591.
Aber vergessen wir bei aller Schwärmerei nicht, auf die negativen Seiten der Entwicklung Venedigs hinzuweisen.
Hier findet nämlich ein höchst ungleicher Kampf statt: 33 Millionen Touristen treffen jährlich auf 55’000 Einheimische, Tendenz sinkend. Nicht bei den Touristen – ganz im Gegenteil – sondern bei den Einheimischen. In den 60er Jahren lebten hier noch 130’000 Venezianer; die Altstadt dürfte jedoch in absehbarer Zeit zu einer Art ‘historischer Erlebniskulisse’ werden, in der die Touristen eines Tages ganz unter sich bleiben – mit lokalem Service-Personal, das von auswärts zur Arbeit kommt im Freizeitpark Venedig.

Ein Grund für den Auszug der Einheimischen sind die horrenden Mieten. Die Touristen sind gerne bereit, für eine kurzzeitige Bleibe in der Altstadt viel Geld auszugeben. Ferienwohnungen werfen deshalb eine derart hohe Rendite ab, dass 50 m2 – Wohnungen für 400’000 Euro gehandelt und anschliessend zu überrissenen Preisen als Airbnb vermietet warden.
Zur Erinnerung: Airbnb sind – theoretisch – Wohnungen, in denen dessen ständige Bewohner nebenher Übernachtungsplätze anbieten und mit den Gästen ihre Infrastruktur teilen.. Genau diese ‘ständigen Bewohner’ gehen der Stadt nun langsam aus, weil die sich die Miete nicht mehr leisten können. Sie sind es bestimmt nicht, die die teuren Wohnungen kaufen und vermieten.. Auf dem Banner oben rechts im Bild am Canal Grande steht: NO MAFIA, VENEZIA È SACRA (Keine Mafia, Venedig ist unantastbar / heilig). Oder doch nicht ?

Und doch: Venedig ist einfach schön. Man fühlt sich entrückt und verzaubert in diesem romantisch-idyllischen Rahmen.

Vorgestern Abend bin ich auf dem Campingplatz Venezia ausserhalb der Stadt angekommen. Er ist perfekt ist für Venedig-Besuche.
Überhaupt verdient er ein Lob, denn er bietet grosszügige und warm beheizte Duschen an, in denen man sich nicht bemüssigt fühlt, täglich einen Geschwindigkeitsrekord beim Anziehen aufzustellen! Oh Wonne !
Er liegt zwar mitten im hässlichen Industriequartier, und es gibt keine erkundungswürdige nähere Umgebung (auch das Hilton Garden Inn gleich nebenan hat weit und breit keinen Garten vorzuweisen), aber es gibt hier ein Restaurant, in dem zwar wie überall ständig der Fernseher läuft, aber Wein und Wasser kosten gleich viel (1.50 EUR); man tut also gut daran, Wein statt Wasser zu trinken… 😊.
Vor allem aber ist man mit dem Bus in zehn Minuten bei der Piazzale Roma auf Venedigs Insel, und von dort ist es eine gemütliche Schlenderei bis zur Rialto-Brücke oder den Markusplatz.

Es gibt keine falsche Jahreszeit und kein falsches Wetter für diese Stadt; jede Stimmung passt ihr wie angegossen.
Als ich gestern Mittag auf der Insel ankam, war es frühlingshaft warm und sonnig, und auf dem Markusplatz fotografierten sich kichernde Touristen in T-Shirts mit Tauben auf ihren blossen Armen. Dann zogen dunkle Wolken auf, es wurde kühl, die Souvenirverkäufer rollten ihre Buden unter die Arkaden, und die Stimmung schwang um ins Melancholische. Schliesslich duckte sich die Stadt unter einem kurzen, bösen Gewitter, um danach frisch gewaschen im freundlichen Abendlicht aufzutauchen. Traumhaft.

Der Markusdom zeigt deutliche Einflüsse des byzantinischen Baustils mit dem Vorbild Hagia Sophia (Konstantinopel/Istanbul) aus dem 6. Jahrhundert.
Oder wie es eine akademische Enzyklopädie formuliert: «Die obsessive Auseinandersetzung mit dem Vorbild der Hagia Sophia hat zu schöpferisch originellen architektonischen Meisterwerken beigetragen, die der Weltkunst angehören». Zu diesen Meisterwerken gehören unter anderen eben der Markusdom, das Sacré Coeur oder das Schloss Neuschwanstein.
Ich war noch in die venezianische Stimmungsromantik vertieft, als ich auf dem Markusplatz ankam und den gestern zuviel gekauften Blätterteigkrapfen aus dem Rucksack kramte. Ich biss in das nicht mehr ganz frische Gebäck und dachte dabei bedauernd an all die backfrischen Köstlichkeiten in den Bäckereien ringsherum. Und schwupp – das Ding war weg ! Magie !? Nein, eine grosse Möwe hatte Präzisionsarbeit geleistet und mich nicht einmal berührt bei ihrem Raubmanöver ! Ich stand einen Moment lang völlig verblüfft da, ehe ich kichernd ins nächste Caffè steuerte und mir dort ein Stück frische Fruchttorte genehmigte.

Im Hintergrund die Isola di San Giorgio Maggiore mit der gleichnamigen Kirche
Der Dogenpalast und Canaletto

Der Dogenpalast (Palazzo Ducale) war seit dem 9. Jahrhundert Sitz des Dogen, also des Staatsoberhaupts der Seerepublik Venedig.
Ich zitiere: «Der Palast ist eine der bedeutendsten Profanbauten der Gotik und ein Glanzwerk venezianischer Baukunst. Die Innenräume sind mit Stuck, vergoldeten Schnitzereien, Historiengemälden und Allegorien geschmückt. Hier haben die grossen Maler Venedigs den vergangenen Glanz und Ruhm der Lagunenstadt der Nachwelt überliefert».

Ich fand die Räume ebenso beeindruckend wie erdrückend mit ihren überladenen, dunklen Decken. Glanzvoll sind sie jedoch tatsächlich.

In den Waffenräumen gab es jede Menge Schwerter, die eine oder andere Armbrust und ziemlich brutal aussehende venezianische ‘Morgensterne’ zu sehen.

Die berühmte Seufzerbrücke (Ponte dei Sospiri) verbindet den Dogenpalast mit dem Gefängnis (Prigioni nuove) jenseits des acht Meter breiten Kanals Rio di Palazzo.
Vom Dogenpalast aus wurden die vom Gericht Verurteilten zur Haft oder Exekution über diese Brücke in die Gefängnisräume geleitet.
Der Übergang erhielt erst Anfang des 19. Jahrhunderts seinen Namen „Seufzerbrücke“, als man sich vorstellte, wie die Gefangenen auf ihrem Weg ins Gefängnis mit einem Seufzen ihrer verlorenen Freiheit gedachten. Ausserdem klingt so ein Name einfach viel besser.. 😊
Canaletto, Venezianer und Maler,
1697 – 1768 – Ausstellung im Dogenpalast

Giovanni Antonio Canal war besser bekannt als ‘Canaletto’ (der kleine Canal), da auch sein Vater ein (Bühnenbild-) Maler war.
Er wurde für seine äusserst detailgetreue Wiedergabe von Venedigs Bauten und dem Leben in der Stadt bekannt – und für sein Talent, eine Szene zum Leuchten zu bringen. Beim Anblick seiner Bilder fällt einem auf, dass viele der von ihm gemalten Häuserzeilen noch heute beinahe genau so zu sehen sind.

(auch hier war das Fotografieren selbstverständlich verboten, aber für ein üppig gerahmtes Andenken-Bild von damals hat’s dann doch gereicht..).
Im 17. und 18. Jahrhundert war es üblich, dass volljährig gewordene Männer der Oberschicht sich auf eine ‘Grand Tour’ machten, eine Bildungsreise durch Europa, die durchaus ein paar Jahre dauern konnte. Solche jungen Venedig-Besucher erwarben damals gerne Canalettos Bilder der Stadt als Souvenirs, und deshalb finden sich besonders viele seiner Werke in England, wo die Grand Tour–Tradition begonnen hatte.
Ach ja: ich habe Altersrabatt gekriegt auf den Eintrittspreis für den Dogenpalast und die Canaletto-Ausstellung ! Ich weiss zwar nicht mehr, um wieviel es dabei ging, aber mir reicht es schon zu wissen, dass ich einen Rabatt gekriegt habe ! Einfach so. Bloss, weil ich das richtige Alter habe ! Was beweist, dass jedes Alter für irgend etwas das ‘richtige Alter’ ist. Wer sagt’s denn.. 😊
Venedigs allgegenwärtiger Löwe
Der ‚Markuslöwe‘ ist ein geflügelter Löwe mit Buch und erhobener Pranke – und das Wappentier Venedigs.
Der Löwe war ein Attribut des Evangelisten Markus, welcher zum Stadtpatron Venedigs wurde, nachdem im Jahr 828 seine Gebeine aus Alexandria gestohlen und nach Venedig gebracht worden waren. Neben Rom und Santiago de Compostela war Venedig damals eine der am meisten besuchten christlichen Pilgerstätten Europas.
Auf den Seiten des geöffneten Buchs steht zu lesen: PAX TIBI MARCE EVANGELISTA MEUS (Friede sei mit dir, Markus, mein Evangelist). Diesen Satz soll einer mittelalterlichen Legende zufolge ein Engel zu Markus gesagt haben, als dieser nach Rom ging.
Man sieht den Löwen hier überall. Er ‘gehört’ Venedig allerdings nicht exklusiv; man trifft ihn auch in der Heraldik anderer Orte und Länder.

Heute Dienstag herrschte durchgehend strahlender Sonnenschein, und ich bin an der Piazzale Roma auf das Boot Nummer drei gestiegen und auf die Insel Burano gefahren. Zumindest war das der Plan. Wir tuckerten über eine Stunde lang durch ganz Venedig auf dem Canal Grande, und nach unzähligen Stopps (und ebensovielen Fotos, die ich machte von jeder Ecke, an der Wasser auf Land trifft..) kamen wir beim Lido an. Endstation. Ich hatte aus Versehen das Boot Nummer eins erwischt..
Nun reichte es allerdings nicht mehr für Burano, also bin ich stattdessen in Murano ausgestiegen.
Dort habe ich die fantastischen Glasbläser-Kunstwerke bewundert, von den winzigen Ohrsteckern über blitzende Kronleuchter bis hin zu lebensgrossen Figuren; dann habe ich einem alten Mann beim Herstellen von bunten Glasbroschen zugesehen – und schliesslich Murano zu Fuss erkundet (der Glas-Christbaum steht immer noch da..).

Und jetzt kommt der dramatische Teil: nach dem Abendessen habe ich via Laptop alle Fotos des Tages (endgültig) gelöscht auf dem Handy !
Ich weiss nicht, wie ich das geschafft habe, aber alle ‘Recuperate’-Programme, die ich danach heruntergeladen habe, konnten die Sache nicht wieder hinbiegen. Merde ! oder ‘Minchia’! (fuck, gesprochen ‘minggia) – um dem Ärger lokalen Nachdruck zu verleihen.. Wie gut, dass ich dank meines in naher Zukunft erwarteten Gastes aus der Schweiz eine zweite Chance bekomme.. 😊

Liebe Rösli, ja Venedig ist wahrlich eine Reise wert, bin vor Jaaahhren dort gewesen noch mit Albert..
Danke für dein ausführlichen interessanten Bericht!
Hier komt langsam der Frühling, hurra! Ganz liebe Grüsse aus Oberrüti!
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Ich war ja auch erst vor Kurzem dort … und hatte mich daher sehr gefreut nochmal, nun aber durch deinen Bericht, kurz vorbei zu sehen …
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Hopp Rösli, I wett do dazua nusäga ,wamme gsäh hät ,häbma gsäh!!
Danka för dini guata Gschichta und hebter Sorg
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😃 wo‘d räacht häasch, häasch rächt ! Gsechi o so !
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es macht überhaupt nichts, dass einige Fotos fehlen, dein Reisebericht ist super spannend, informativ (ich liebe es wenn auch etwas Hintergrund erzählt wird) und witzig geschrieben – stimmt: Jedes Alter ist das richtige Alter 😉! Macht richtig Lust Venedig auch zu besuchen…
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Herzlichen Dank für die Blumen 😊
Tu das – aber möglichst nicht zur Hauptsaison… Viel Spass !
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