Napolis Unterwelt

Wer nun denkt, dass ich ein paar Vertreter der Camorra getroffen habe, hat vielleicht recht, aber mir wurde keiner offiziell vorgestellt, also kann ich nichts behaupten. Mein Titel ist ganz und gar wörtlich gemeint: heute bin ich in die Tiefen von Napolis Unterwelt gestiegen (und wieder hochgekeucht !): Napoli Sotterranea.

1_Sotteraneo.jpg

2_Sotterranea_ingresso.jpg
Vierzig Meter tief unter den Gassen von Neapel erstreckt sich auf achtzig Kilometern ein Labyrinth aus Höhlen und ehemaligen Zisternen. Es entstand, als jeweils direkt unter einem geplanten Haus Tuffstein abgebaut wurde, denn dieser ist nachgerade ideales Baumaterial: es lässt sich leicht bearbeiten und ist dabei wärmespeichernd und isolierend. Um sich die Transportwege zur Baustelle zu ersparen, wurde auf dem Bauplatz zuerst ein senkrechter Stollen gebohrt, durch den die Lavagestein-Quader später hochgezogen wurden – und darunter entstanden die Höhlen durch den Abbau selber.

3_Sott_Tuff.jpg

Diese Art, Häuser zu bauen aus vulkanischem Gestein begann schon vor 5000 Jahren. Ab 700 v. Chr. benutzten auch die Griechen den Tuffstein zum Bau ihrer Häuser, Festungen und Tempel. Die ehemaligen Steinbruch-Höhlen wurden schon damals als Wasser-Reservoirs genutzt.

Nebenbei bemerkt: als die Griechen 500 v. Chr. ihre zweite Festungsstadt bauten, nannten sie sie ‘Neustadt’, also ‘Neapolis’.


Ab 326 v. Chr. kamen die Römer an die Macht. Sie verbanden die Höhlen mit Tunneln und Kanälen und leiteten durch Aquädukte Wasserquellen in diese unterirdischen Zisternen. Nun konnte von jedem Haus aus Wasser daraus geschöpft werden.

4_Sott_Zisterne
Das Zisternensystem wurde bis 1885 genutzt, nach einer Choleraepidemie in jenem Jahr jedoch durch modernere Leitungen ersetzt. Die Zisternen wurden nicht mehr befüllt
(diese hier wird aus dramaturgischen Gründen für die Besucher am Leben erhalten..)

2ndWW.jpg

Während des zweiten Weltkriegs wurden die Höhlen zu Luftschutzbunkern
Die Bevölkerung Neapels verbrachte Tage und Wochen in den unterirdischen Höhlen, die sich als sicherer herausstellten als die Kirchen, die ebenfalls bombardiert wurden. Die Menschen begannen sich unter der Erde einzurichten. Diejenigen, die ihr Haus verloren hatten, bewohnten danach eine Höhlenecke, die sie für etwas Privatsphäre durch Bettlaken abtrennten vom Rest des Raums.

2ndWWb.jpg

Nach dem Krieg wurden die Höhlen mit dem Schutt der zerbombten Gebäude gefüllt und in den 50er und 60er-Jahren als Abfalldeponie benutzt. So geriet das unterirdische Neapel langsam in Vergessenheit.

Ende der 70er-Jahre aber gab es einen verheerenden Brand in einem Sägewerk, welches während Jahrzehnten seine Sägespäne in den Höhlen darunter entsorgt hatte.

Der Brand erreichte auch die unterirdischen Höhlengänge, der Rauch breitete sich durch die Tunnelverbindungen aus in alle Keller des betroffenen Stadtteils. Drei Tage lang dauerten die Löscharbeiten, und die Feuerwehr entdeckte dabei eine gemauerte Treppe zu einem Keller. Sie führte zu einem Bunker voller Wandzeichnungen mit Darstellungen aus dem Alltag während des Krieges.

zisterne2.jpg

Dieser Fund weckte das Interesse für das unterirdische Neapel. Da viel zuviel Abfall in den Gängen und Höhlen lag, als dass man ihn hätte entfernen können, wurde er stattdessen gleichmässig verteilt und mit einer drei Meter hohen Betonschicht zugedeckt.

5_Marijke.jpgLinks: durch diesen Gang von 50 cm Breite, 1.75 Metern Höhe und 100 Metern Länge drückten wir uns – oft seitwärts – mit LED-Kerzen, weil es etwas weiter drin keine Lampen mehr gibt an den Wänden.
Rechts: Die Holländerin Marijke rechts vorne war meine ‘Kerzen-Partnerin’ (eine Kerze pro zwei Personen, hatte der Befehl gelautet – die hatten uns sowas von im Griff 😊).
6_Keller.jpgIm diesem Gewölbe wohnte eine alte Frau, die jeweils ihr Bett nach hinten in die Stube schob, um darunter an die grosse graue Falltüre zu ihrem Keller zu gelangen. Dort lagerte sie ihren Wein und Vorräte – mitten in den Garderoben des Amphitheaters..

7_GoogleSatelliteAuf der Satellitenkarte sieht man gut, wie die ‘neuen’ Häuser, die auf dem Amphitheater erbaut wurden, dessen runder Form folgen

In den 80er-Jahren war es dann soweit: einige Zisternen und Höhlen wurden für Besucher geöffnet. Heute gehört das unterirdische Neapel zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten der Stadt.

Viele der unterirdischen Bauten werden nie ausgegraben werden können, denn irgendwann in der mittelalterlichen Geschichte erging der Erlass, dass keine neuen Häuser ausserhalb der Stadtmauern erbaut werden dürften. Also wurde einfach auf den alten Strukturen aufgestockt.

Wenn man deshalb im kleinen Teil des ausgegrabenen Amphitheaters steht, kann man schon mal das Scharren von Stühlen in der Küche des Hauses darüber hören..

Brunnen.jpg

Durch die Unterhöhlung der Stadt ergeben sich allerdings bis heute auch statische Probleme; in der Vergangenheit gab hin und wieder die Erde nach und verschlang ganze Häuserblocks.

Mein persönliches Fazit der Unterwelt-Tour: Die Geschichte der Höhlen ist interessanter als die eigentliche Besichtigung.
Aber hey, es regnete, und für 10 Euro waren wir zwei Stunden lang unter Dach und wurden bestens unterhalten.

9_Napoli_Caffè.jpg
Napoli bei Tageslicht

Der erste Eindruck von Napolis Altstadt ist eher duster. Besonders, wenn es regnet.  Schätzungsweise jedes fünfte Gebäude der Stadt ist stark sanierungsbedürftig, wie ich gelesen habe. Häuser stürzen hier nicht nur wegen der Hohlräume darunter ein, sondern auch wegen Pfusch am Bau. Unbewilligtes Bauen hat eine lange Tradition. Die Mafia hat sich längst aus dem unrentablen Immobiliengeschäft zurückgezogen. Da wursteln nun andere Opportunisten. Die Napolitaner selber beschimpfen die untätigen Politiker – und arrangieren sich.

Auf der anderen Seite dies: Alle waren sie schon hier als ‘Eroberer’, Griechen und Römern, Normannen, Habsburger, Bourbonen, Bonapartisten und viele mehr.. Kein Wunder ist Neapel so reich an Kultur – und so bunt bevölkert.

Napoli.jpg

Als ich mich über den Dreck in Rom ausliess, hat mich ein Freund daran erinnert, dass man nicht nach Italien fährt, um dort schweizerische Ordnung zu finden. Ich habe mir das überlegt – recht hat er ! Eine sehr entspannende Erkenntnis.

8_Napoli.jpg

Wo wir Glaswände um die Stätten des Altertums bauen würden, durch welche man die fein gepützelten Schätze aus gebührender Entfernung betrachten kann, wird hier hemmungslos in und auf diesen Schätzen gelebt !

Kleine Bars in antiken Gemäuern mit den Gläsern auf 2000-jährigen Wandvorsprüngen, die notfalls auch etwas zurechtgemeisselt werden, bis sie passen. Fensterlose Wohnzimmer in der mächtigen Stadtmauer, ein lauter Fernseher an der hinteren Wand und die Türe zur Fussgängerzone offen für etwas Licht. Klar: mit einer Geschichte und Kultur wie jener in Italien wäre das halbe Land unbewohnbar, würde man sie ‘unantastbar’ machen wollen.

Und das ist dann wohl Teil des Charmes von Neapel. Alles ist Geschichte – und alles im täglichen Gebrauch – und unglaublich lebhaft. Unzählige winzige, fröhliche Bars und Imbissbuden säumen die Innenstadt und sind auch bei Regen gut besucht – mir war es spontan wohl in der Stadt.

10_Napli_TakeAways.jpg

11_Napoli_Dom.jpgIm Dom von Napoli (meine Dom-Sammlung ist inzwischen ziemlich eindrücklich, oder ?) Dieser hier enthält die Gebeine des Märtyrers San Gennaro und eine Phiole Blut, die sich einmal im Jahr verflüssigt, wenn die Zukunft es gut meint mit Neapel.

Nein, nein, kein Problem – ich habe dafür ein Bauchgefühl…

Ich wusste einfach, dass der Bahnhof ‘Pompei’ meiner wäre, als ich an der  Piazza Garibaldi in den Zug stieg. Also musste ich auch niemanden fragen..
Öh, nein, es gibt noch einen im Zentrum der Stadt, und dort strandete ich in dunkler Nacht mit Regen in der Luft. Natürlich gab es keinen Shuttle mehr zu den Ruinen,  neben denen ich wohne. Also wanderte ich nach einem intensiven Tag noch zwei Kilometer nach Hause auf einer hässlichen Strasse, auf der ich weit und breit der einzige Fussgänger war. Selber schuld.

PompeiScavi.jpg
Dies wäre mein Bahnhof gewesen, und zwischen den beiden Pfeilern links am Gebäude  sieht man den Eingangsbogen meines Campingplatzes. Gleich um die Ecke, eigentlich…

Um 2 Uhr morgens kam dann das Gewitter; mein Häuschen wurde zur Blechtrommel für den heftigen Regen, es blitzte und donnerte zwei Stunden lang gewaltig. Ich verbrachte die Zeit damit, mir die Theorie des ‘Faradayschen Käfigs’ in Erinnerung zu rufen, die beruhigenderweise besagt, dass ein Blitz aussen ums Auto herum abgeleitet würde. Andrerseits: was passiert in einem solchen Moment im Elektroblock des Autos ? Ich kam zu keinem Resultat und begann stattdessen, die Entfernung des Gewitters ‘mitzuzählen’: eine Sekunde Abstand zwischen Blitz und Donner entsprechen 300m zwischen mir und dem Gewitter: einundzwanzig (Rumpel..), einu… (Kradamm!) … Mama mia ! Dann kam mir zu allem Elend in den Sinn, dass, wenn beim Faraday-Käfig der Blitz erst einmal im Käfig DRIN ist, man gut daran tut, DRAUSSEN zu stehen. Na toll..

12_Orangen.jpg
Heute lagen jede Menge Orangen auf dem Boden – mein Frühstücksaft ist auf Wochen hinaus gesichert… Und eine junge Platzangestellte hat mir eben diesen Strauss gebracht.

13_PiaggioApe.jpgPiaggio Ape, wenn ich mich nicht täusche, oder ? Die sind üüberall ! Und sie sind frech ! Und wendig ! Und passen auf jede noch so schmale Strasse. So eines wäre manchmal sehr praktisch ! Mit etwas weniger Rost vielleicht..?


„O’ sole mio“
ist das bekannteste neapolitanische Volkslied.

Es steht so sehr für Italien, dass es bei den Olympischen Spielen in Antwerpen im Jahr 1920 aus Versehen anstelle der italienischen Nationalhymne gespielt wurde.

Eduardo di Capua hat es 1898 komponiert auf einer Reise in die Ukraine, als ihn eines Morgens die Sehnsucht nach ‘seiner Sonne Neapels’ übermannte.
Wer das Lied nicht kennt, erinnert sich vielleicht an Elvis Presleys „It’s now or never“. Spätestens durch ihn erlangte die Melodie Weltruhm.

14_Rompe_le_Palle.jpg
Weisheit zum Tage, gefunden auf historischem Gemäuer:
«Das Leben ist wie ein Weihnachtsbaum.
Es gibt immer jemanden, der die Kugeln kaputt macht.»
(..darf/soll eher im übertragenen Kugel-Sinn verstanden werden… 😊)

4 Gedanken zu “Napolis Unterwelt

    1. Lieber Andi

      Herzlichen Dank für deine Nachricht – ich habe mich sehr gefreut darüber.
      An mir soll es nicht liegen – ich hoffe schon, dass mir das Land noch den einen oder anderen ‘Film’ bieten wird in Zukunft 🙂

      Bis dann – liebe Grüsse an euch alle !
      Rösli

      Like

  1. Avatar von Lombardi Lombardi

    Hallo Rose

    Danke, dass wir dich durch deine interessanten Berichte, auf deiner Reise begleiten können! Grossartig…….!!
    Lass dich in der Campania von der wunderschönen Landschaft, kulturell und kulinarisch verwöhnen (meine zweite Heimat😉).
    Wir wünschen dir eine gute Weiterreise.

    Liebe Grüsse
    Lombardi‘s

    Gefällt 1 Person

    1. Lieber Michel

      Herzlichen Dank für deine Nachricht; ich habe mich gefreut, von dir zu hören.
      Aha, deine Familie ist also ursprünglich aus der Campania ?! Du hast auf jeden Fall recht: es ist tatsächlich wunderschön in der Gegend, und essen kann man hier auch himmlisch !

      Dann also bis nächstes Mal – liebe Grüsse an die ganze Lombardi-Familie !
      Rose

      Like

Hinterlasse einen Kommentar