Un poco Ticino, un poco Piemonte…

Aufbruch !

Was habe ich mich schwergetan, die Schweiz wieder zu verlassen ! Es ist schon erstaunlich, wie rasch man wieder ‘daheim’ ist im Heimatland.
Erschwerend hinzu kamen die vielen Besuche bei meiner Familie, bei Freunden und Bekannten, denn diese waren ausnahmslos wunderbar, und auch das lässt zarte Würzelchen spriessen.
Andrerseits bin ich nun rund und satt von all den guten Gesprächen und fröhlichen Runden; ein guter Zeitpunkt also, wieder auf die Reise zu gehen. Sie soll dieses Mal durch Italien führen. Ich hoffe bloss, dass der eine oder andere Campingplatz auch im Winter offen ist.. Wir werden ja sehen. Also los.

1_LocarnoAm Lago Maggiore zwischen Ascona und Locarn
Der Campingplatz Delta liegt ziemlich genau zwischen Ascona und Locarno im Maggia-Delta; an beide Orte gelangt man mit dem Fahrrad in wenigen Minuten. Die Lage ist herrlich, und da ich in der vordersten Reihe stehe und direkt auf den See hinaus blicke, ist sie nachgerade perfekt… Ausserdem gibt es auf dem Platz ein gut besuchtes Restaurant, das unabhängig vom Campingplatz arbeitet und gutes Essen anbietet. Auch die hier servierten Merlot bianco und rosso del Ticino munden vorzüglich.

Man spürt bereits die Herbstruhe, die nun allgemein auf den Campingplätzen einkehrt. Dieser hier ist höchstens zur Hälfte belegt. So gefällt es mir.

Neben mir steht allerdings ein altes Luzerner Ehepaar von der Sorte, wie man sie überall treffen kann: die Frau redet beinahe pausenlos, und der Göttergatte brummelt in unregelmässigen Abständen zustimmend. Ich glaube nicht, dass ich ihn einen einzigen ganzen Satz habe sagen hören während der Zeit, die ich dort verbracht habe, währenddem die Ehefrau einen laufenden Kommentarteppich bot zum Wetter, ihrer Verdauung, der Verdauung ihrer Schwester oder zu den Nachrichten in der Luzerner Zeitung.

Man muss aber nicht hinhören, wenn man nicht mag (ich selber fand es ja ziemlich unterhaltsam), denn das Ufer mit Badebucht ist praktisch leer, und davor lädt eine grosse Wiese unter schattigen Bäumen zum Lesen ein oder dazu, den Wellen beim glänzenden Rippeln zuzusehen.

3_Locarno
Der See sieht immer wieder anders aus, und in allen Stimmungen ist er echt schön.

2_Schwäne

Königliche Schwäne in königlicher Haltung – und plumpe Enten mit dem Schwänzli in der Höh ! Von wegen !
Diese beiden Schwäne standen stundenlang auf dem Kopf im Wasser, und ‘Schwänzchen’ sind das auch nicht wirklich. Dem ‘königlich’ ist das schon etwas abträglich, oder ? Immerhin können sie richtig lange tauchen – und erst noch ohne danach nach Luft japsen zu müssen.

Auf diesem Platz habe ich auch Patrick und Barbara getroffen. Beide haben unabhängig voneinander und just zur selben Zeit eine kleine Auszeit vom Alltag genommen; Patrick kam mit Roller und Zelt, Barbara mit Campervan – und wir drei haben uns gleich gefunden, gemeinsam gegessen, viel über das Leben und dessen Irrungen und Wirrungen geredet – und vor allem viel gelacht. Ich glaube, wir haben uns einfach gegenseitig gut getan.

4_Ascona PromenadeMit dem Fahrrad habe ich vom Campingplatz aus Ascona erkundet, das gleich um die Ecke liegt.
Als ich 17 Jahre alt war, habe ich in Brissago neun Monate lang als Hilfsschwester in der Clinica Hildebrand gearbeitet, und wir Mädels waren häufig im Ausgang hier. Ausser der Seepromenade habe ich allerdings nichts wiedererkannt. Nun ja, das erstaunt nicht weiter, wenn man nachrechnet… 😉
Ich habe also die Nostalgie rasch abgelegt, mich im letzten Beizlein an der Promenade auf den unbequemsten Stuhl gesetzt, den ich je ‘besessen’ habe in einem Strassencafé und ein Glas Weisswein getrunken – für glatte 9 Franken ! Nun ja; es gab immerhin ein paar Oliven dazu in einem schmuddeligen Chromstahl-Schälchen und ein paar dieser knackigen runden Dinger, die weder Nüsse noch sonst etwas Erkennbares enthalten..

5_Porto
Ascona hat einen wunderschönen Golfplatz, diverse schmucke Bootshafen und ganz viele schöne Fleckchen am See zu bieten..
Ich wäre ja zu gerne im Restaurant dort hinten mit dem Sonnensegel eingekehrt; leider ist das Parkieren von Fahrrädern dort verboten. Und deshalb sind die hier schuld, dass ich später auf dem schrecklich unbequemen Regisseurstuhl landete und den unverschämt teuren Wein trank… 😊 Jawoll !

6_RebenApropos Wein: Auch im Tessin dürfte die diesjährige Traubenlese eine erfreuliche Sache werden bei diesen dicken, makellosen Trauben, die einfach abgeschnitten und in den Korb gelegt werden können ohne Essigfliegenjagd oder Auslesen von faulen Beeren. Ein Traumjahr !

Hier in Locarno wäre ich gerne länger geblieben, aber auch dieser Platz schliesst demnächst für den Winter, und die drei angestellten ‘Maintenance-Herren’ sind seit Tagen dabei, die im Sommer strapazierten Stellplatz-Wiesen neu zu besäen. Man ahnt auch schon die südländische Arbeitsmoral: jeweils einer der drei Herren werkelt ein paar Minuten lang sehr gemächlich, währenddem die beiden anderen sich schwer auf ihre Werkzeuge stützen und ihm andächtig zuschauen dabei.. Danach ist eine Arbeitspause einzulegen, ehe ein anderer kurz den Stress übernimmt 😊

7_LocarnoLocarno/Muralto von unserem ‚Strand‘ aus gesehen

8_Pettenasco
Lago d’Orta: Mein Ausblick vom Camping Allegro in Pettenasco

Pettenasco am Ortasee
Von Locarno bis hierher sind es gerade einmal gut 70 Kilometer. Dass man dafür anderthalb Stunden benötigt, hat damit zu tun, dass man auf schmalen Strassen den Konturen des Lago Maggiore folgt, etliche Dörfer passiert und es selten auch nur auf 50 Stundenkilometer bringt. Macht ja auch nichts..
9_Pettenasco.jpgIch habe Glück mit meinem Campingplatz ‘Allegro’, denn es gibt mehrere Plätze hier, und keiner der anderen ist so gemütlich klein und liegt so nah am Wasser.

Der Ortasee selber ist wunderschön, das Wasser glasklar – und grosse Flächen der steilen Hänge auf der gegenüberliegenden Seeseite sind mit Wald bedeckt, nur ein paar kleine Dörfer haben sich in die etwas flacheren Nischen am Ufer gedrängt. Von dort läuten die Glocken einer kleinen Kirche herüber, die – wie schon im Tessin – nicht die vollen, harmonischen Klänge unseren Kirchenglocken entwickeln, sondern ein eher dünnes, wehmütiges, von Pausen durchsetztes Bimmeln bleiben mit seltsam melancholischen Halbtonklängen, die einen wohl gerade deshalb berühren.

10_Pettenasco_StegDie Nonna, die den Platz hier führt, ist eine 78jährige Witwe und sagt, sie könnte nicht leben ohne den Campingplatz. Sie meint dies ebenso wörtlich wie im übertragenen Sinn, denn was sollte sie sonst tun – und wovon würde sie leben (ihre Altersrente sei schon sehr bescheiden, meinte sie..). Sie spaziert jeden Morgen über den Platz und plaudert mit ihren Gästen. Mit mir dauert die Plauderei jeweils nicht sehr lange: mein Italienisch ist sehr angerostet und mein Wortschatz sehr bescheiden, und wegen dem schlechten WLan komme ich noch nicht einmal dazu, es ein wenig zu üben mit Babbel-Lektionen. Aber ich habe ja Zeit.
12_Chris&Christine
Gleich nebenan auf der Wiese am Wasser stand das kleine Zelt von Chris und Christina, zwei gut gelaunten, herzlichen Deutschen, die öfter mal für ein paar Tage hierher kommen. Sie sind aus Saas-Grund und haben mir begeistert Bilder gezeigt von ihrem Dorf und ihrer Bergwelt, von Seen in hellem Türkis, in denen sich schroffe Schneeberge spiegeln. Dieses Wallis muss ich mir unbedingt einmal ansehen !

Als die Beiden nach Saas-Grund zogen letztes Jahr, wurden sie sehr misstrauisch beäugt von der Dorfgemeinschaft. Im Frühling aber pflanzte Christina Gemüse und Blumen im Garten und baute eigenhändig ein Dach über ihren Tomatensetzlingen – und prompt wurde sie zum ersten Mal von ihrer alten Nachbarin gegrüsst, die sie bisher ignoriert hatte. Seither nimmt die Freundlichkeit wöchentlich zu, und wenn Christina keinen dramatischen Faux-Pas begeht – wie etwa in High Heels durchs Dorf spazieren? – dürften die Beiden in einem Jahr oder so bereits ins Gespräch kommen..

13_Ronco_
Das ist beinahe das ganze Dorf Ronco am Ortasee. Links fehlt das Kirchlein und ein paar weitere Häuser, weil das Kursschiffchen ‘Azalea’, auf dem ich mich hier befand, so rasch abgedreht hat, dass ich viel zu weit hätte hinaushängen müssen für ein ‘Ganz-Ronco-Bild’..

14_ReceptionGleich am ersten Abend wollte ich – getreu meinem Vorsatz, nie allein im Auto zu trinken – ein Glas Wein beziehen an der Bar, die gleichzeitig Empfang, Billardsalon, Büro und Sommer-Restaurant mit Tschüttelikasten ist und den Charme einer Turnhalle verbreitet – mit Echo – da meinte die Chefin, ich solle doch lieber die ganze Flasche nehmen, sie koste ja bloss 3 Euros. Also gut, Risiko. Es war gut,  dass sie mir einen Barbera brachte. Ich mag diese Traube nicht sonderlich – es blieb problemlos beim einen Glas….

Nachtrag: vier Abende später habe ich immer noch eine halbe Flasche voll von dem Trank – ich kaufe mir wohl am besten etwas Ragout, das ich dann stundenlang darin köcheln lassen kann.. 😊

15_Hochzeit am OrtaseeHeute ist Samstag, und im Hotel, das so festlich leuchtet dort hinten, findet eine Hochzeitsfeier statt.

Schon seit dem späten Morgen geht da die Post ab, launig gefördert durch einen DJ, und da Wasser bekanntlich Akkustik trägt (oder sogar verstärkt ?), kommen wir hier in den vollen Genuss der Festmusik. Ich weiss nicht, ob das frisch getraute Paar eher ältlich ist, aber ich habe bisher jedes Stück gekannt, das gespielt wurde – Rock und Pop und Saturday Night Fever und Rolling Stones und ‘Highway to Hell’… 😊. Mir gefällt das Konzert so gut, dass ich die Türe offen stehen habe – und inzwischen ein ganzer Schwarm länglicher Fluginsekten meinen Bildschirm bevölkert.. Iiiiks ! Nicht nur den Bildschirm, auch die Decke und die Wände ! Zum Glück sind die festseligen Besucher eben dazu übergegangen, die Stücke mit Gusto mitzujohlen – Zeit, die Türe zu schliessen und auf Insektenjagd zu gehen..

Schlusspunkt:
Das WLan auf diesem Platz ist so schlecht, dass ich dachte, ich leiste mir das jetzt und füge meinen Blog per Hotspot und Roaming ein.
10 Minuten und 121.77 Franken später war mein Guthaben unter 3 Franken gesunken, ich hatte inzwischen 28 Saldo-SMS von MBudget Mobile erhalten, das letzte mit der Aufforderung, subito Guthaben zu laden (die Nachrichten hatte ich aber nicht beachtet, weil mein Handy auf lautlos war) – und mein Blogeintrag war inzwischen im Nirwana entschwunden.. Da weiss man plötzlich, was gemeint ist mit ‚Lehrgeld bezahlen’, und auch, dass das mitunter wörtlich gemeint ist…
Ich bin ins 10 Minuten entfernte Ristorante Dolphins geflüchtet – dort gibt’s nämlich anständiges WLan und guten Wein !.. 😊

10 Gedanken zu “Un poco Ticino, un poco Piemonte…

  1. Avatar von Hansruedi und Katharina Steinmann Hansruedi und Katharina Steinmann

    Liebe Rose
    Dein Blog erfreut mein Herz und macht mich auch ein bisschen neidisch auf deine Freiheiten ;-). Wir sind in der Zwischenzeit umgezogen und leben begeistert am neuen Ort (200 m weiter westlich als die alte Adresse :-)). in 10 Tagen gehts auch bei uns wieder los, zwar nur für 17 Tage Richtung Norden aber immerhin das gönnen wir uns.
    Wir denken mit Freuden an unsere Reise durch Spanien und Portugal zurück und an die fröhliche Frau aus Winkel, die wir auf dem kleinen, aber herzigen Campingplatz von Rinlo in der Nähe des Playa de Las Catedrales getroffen haben!
    Liebe Grüsse und „gueti Reis“ wünschen dir
    Hansruedi und Kathi

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    1. Liebe Kathi und Hansruedi
      Ich freue mich sehr, von euch zu hören – wie schön, dass ihr eure Züglete geschafft habt UND es euch gefällt am neuen Ort ! 😊
      Recht habt ihr: Reisen macht einfach Freude – ich wünsche euch eine wunderschöne Zeit im Norden (habe ich mir für nächsten Frühling vorgenommen..).
      Lasst ihr mich mal hören, wie es euch ergeht dabei ? Das wäre schön !
      Allzeit Gueti Fahrt und liebe Grüsse!
      Rose
      PS Auch ich habe sehr angenehme Erinnerungen an Rinlo – schön war’s mit euch !

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  2. Avatar von Andreas Nüesch Andreas Nüesch

    Hopp Rösli
    Hoffentlich hattest Du trotz meiner Nichtgratulation einen wunderbaren Geburtstag!!
    Nicht desto Trotz gratulieren wir Dir ganz wieferukt zu Deinem Geburtstag und wünschen Dir eine interessante ,unfallfreie und lehrreiche Weiterreise!!

    Andi und Martha

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    1. Lieber Andi
      Liebe Martha
      Am Geburtstag kam ich sowas von nicht mehr nach mit dem Lesen von guten Wünschen, dass es gut passte, auch ein wenig später noch bedacht zu werden 🙂 Herzlichen Dank ! Heute werde ich gerade genüsslich verregnet in Rapallo, und das bringt mir einen gemütlichen Nichtstun-Tag, an dem ich etwas Schreibarbeit erledige. Wie gut alles manchmal zusammenpasst.

      Ich hoffe, dass eure Apfelernte inzwischen erfolgreich abgeschlossen ist und das Storchennest geflickt ? Ich freue mich nämlich schon auf das Geklapper im nächsten Jahr ! Inzwischen jede Menge Cordiali Saluti del Piemonte ! Rösli

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  3. Avatar von Henriette Streuli Henriette Streuli

    Liebe Rösli, besser spät als nie: herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, viel Gesundheit, Glück und Lebensfreude! Ich war eine Woche im Schwarzwald in den Ferien! Bin seit gesternabend wieder zuhause. Vielen Dank für deinen interessanten Blog und die schöne Bilder! Heb dir Sorg, fühle dich umarmt! Liebe Grüsse, Christian und Henriette

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    1. Liebe Henriette
      Ganz herzlichen Dank für deine velen willkommenen Wünsche ! Mir ist gleichzeitig siedend heiss eingefallen, dass ich dafür deinen Geburtstag zugunsten von Lisas ebensolchen vöööööllllig verlauert hatte ! Äxgüsi ! ich wünsche dir deshalb hier und jetzt ungefähr 328 phänomenale Tage, reich gefüllt mit täglicher Freude ! Und dann komme ich wieder (wenn alles gut geht 🙂
      Schön, dass du deine Ferien genossen hast und jetzt wieder entspannt ans Schäfchen-Schöppelen gehen kannst falls nötig..
      Ich grüsse auch euch Beide herzlich aus dem (momentan regnerischen) Rapallo – immer noch im Piemont – was dafür zum gemütlichen Faulenzen einlädt ! Bis dann ! Rösli

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