Sintra – Eine Räubergeschichte

Angie und Dominique haben mich eingeladen, mit ihnen nach Sintra zu fahren vor ihrer Weiterreise. Ich würde dann per Taxi zurückkommen nach Lissabon, währenddem sie weiter nordwärts halten.

Die beiden sind ein herzliches, aufgestelltes Paar, und es war eine Freude, mit ihnen unterwegs zu sein. Wir parkierten ihren Wagen beim grossen Parkplatz am Bahnhof neben zwei weiteren Wohnmobilen und machten uns auf ins Abenteuer. Das Wahrzeichen von Sintra sind die beiden hohen, kegelförmigen Küchenkamine auf dem mittelalterlichen Palácio National, aber es gibt hier noch weitere Paläste und Parks zu besichtigen, ausserdem ein maurisches Schloss und eine romantische Altstadt.
Auffallend war hier auch die hohe Anzahl an Touristen. So viele hatte ich noch nie gesehen seit Beginn meiner Reise.

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Nach einer Busfahrt rund um alle Sehenswürdigkeiten setzten wir uns in ein kleines Restaurant an der Praça Republica mitten in Sintra und assen gemütlich zu Mittag. Danach erklommen wir die engen, steilen Gässchen und besahen uns die wunderschönen, handbemalten Fliesen, die berühmten ‘Azulejos’, tranken einen roten Kirschlikör ‘Ginja’ aus einem Schokoladebecher, liessen uns unter Fado-Klängen durch die kleinen Handwerkerläden treiben und waren so richtig zufrieden mit unserem Ausflug.

Artisana

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Und mitten in diese Zufriedenheit ging bei Dominique ein SMS ein, welches ihm mitteilte, dass bei seinem Wohnmobil gerade die rechte Seitentüre aufgebrochen worden war.
Urplötzlich war es vorbei mit der Schlenderei, und wir rannten zu dritt die Gässchen hinunter, um möglichst rasch zurück zum Bahnhofparkplatz zu gelangen. Der einzige Taxifahrer auf der Praça Republica machte gerade Mittagspause und war nicht dazu zu bewegen, diese abzukürzen. Schliesslich hielten zwei grün bekleidete Herren in ihrem kleinen Auto an, wir quetschten uns zu dritt auf die schmale Rückbank und sassen auf Kohlen während der 15minüten Fahrt durch den zähen Mittagsverkehr. Es stellte sich heraus, dass die zwei auf den Vordersitzen Förster und – wie die Polizei – der Guarda Nacional Republica unterstellt sind.

Dominiques erste Ausseninspektion des Wohnmobils ergab keine Schäden an Fenstern und Schlössern, dann ging er hinein und befand, dass da schon jemand gewesen sei, denn ein Teil eines Deckenspots lag auf dem Boden.
Dominique ging zu den beiden Förstern für seinen Bericht, und nun stiegen Angie und ich ins Auto. Angie sah weitere Anzeichen eines Einbruchs: ihr Portemonnaie war noch an seinem Platz, aber das Bargeld war weg; einige Schubladen waren nicht mehr verriegelt und ein fremder Schweissgeruch hing in der Luft. Ich liess Angie ihren Kontrollgang allein weitermachen, da so etwas ja doch eine sehr persönliche Sache ist.

Deshalb stand ich neben der Seitentüre, als Angie plötzlich laut zu schreien anfing und aus dem Auto rannte – dicht gefolgt von einem grossen Schwarzen, der mit einem weiten Sprung aus dem Auto schoss, an uns vorbeisprintete und die steile Böschung zu den Geleisen hinaufrannte mit einem grossen, grauen Rucksack auf dem Rücken. Dominique nahm augenblicklich die Verfolgung auf, hatte jedoch keine Chance, da er er sich etwas zu weit weg mit den beiden Herren unterhalten hatte. Und wir beiden Frauen standen wie gelähmt in der Nähe des Autos, bis Dominique zurückkam.
Der Dieb hatte unbemerkt auf dem Bett hinter der Duschkabine gehockt.

Er hatte die Verriegelung des kleinen Türfensters aufgebrochen und so die Türe aufgeschlossen. Als das Öffnen der Türe den Alarm auslöste, verschwand er im Auto und schloss auch das Fenster wieder von innen. Falls also jemand aufgrund des Signals nachgesehen hat, musste er einen Fehlalarm vermuten, weil keine Schäden zu sehen waren. Und da so eine akkustische Warnung nach einer Weile abstellt, muss ein Dieb lediglich abwarten, bis  allfällige Beobachter sich verzogen haben – um danach seelenruhig mit der ausgewählten Beute davonzuschlendern.

Dominiques Laptop, das Bargeld und das Hotspot-Gerät hatte der Schwarze in seinen mitgebrachten Rucksack gepackt, aber auf dem Bett lag noch die grosse Jumbo-Einkaufstasche, in der die Kamera und andere elektronische Geräte bereitlagen zum Abtransport – und darin fand sich auch eine Trinkflasche des Diebes, die er bereits in ‘seinen neuen’ Rucksack von Dominique gepackt hatte.

Die Diebstahlmeldung auf dem Polizeiposten war reine Routine – dort haben sie etliche solche Anzeigen pro Tag zu verarbeiten, weshalb eine Besichtigung vor Ort als überflüssig erachtet wurde.

Was mich im Nachhinein geärgert hat, war die Tatsache, dass ich wegrannte, als der Dieb aus dem Auto schoss – statt ihm ein Bein zu stellen – statt ihm mit dem handlichen Wanderstock in der Türe eins auf den Schädel zu hauen – statt etwas zu tun ! Gut, inzwischen wussten wir, dass der Dieb offenbar nicht bewaffnet war. Es ist gut mutig sein, wenn man das erst weiss..

Nach dem Schrecken mochten wir nicht in Sintra bleiben und fuhren zum Cabo da Roca, wo wir uns ein Glas Wein genehmigten am westlichsten Punkt des europäischen Festlands, wo, wie es heisst, «die Erde aufhört und das Meer beginnt» oder im Originalton: «Onde a terra acaba e o mar começa». Hier begannen einst die Entdeckungs- und Eroberungsfahrten der portugiesischen Seefahrer.

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Angie und Dominique haben mich zurückgefahren auf den Campingplatz und beschlossen, ihren Aufenthalt um zwei Nächte zu verlängern. Sie möchten die Bettwäsche waschen und die Spuren der gestrigen Invasion beseitigen.
Wir haben uns Schnitzel und Pommes gegönnt im Camping-Restaurant und eine Flasche Dão dazu – und haben es erst verlassen, als der Wirt hinter uns abschloss…

Eigentlich wollte ich ja gerade etwas frecher werden und es nun doch einmal mit einem Stellplatz versuchen (also einem Park- statt Campingplatz), aber ich verschiebe dieses Unterfangen auf etwas später und bleibe vorläufig auf den sicheren Campingplätzen.

Wenn ich es recht bedenke, hätte alles viel schlimmer kommen können, und wir haben grosses Glück gehabt, dass es nicht schlimmer kam.

 

 

7 Gedanken zu “Sintra – Eine Räubergeschichte

  1. Avatar von Henriette Streuli Henriette Streuli

    Liebe Rösli, wow…das war sicher schrecklich…passe gut auf dich auf!
    Sintra war sicher schön…danke für die Bilder!
    Lasse es dir gut gehen!
    Ganz liebe Grüsse aus Oberrüti!

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  2. Avatar von lisakathrin lisakathrin

    Wow! Da bin ich gleich erschöpft wenn ich das nur lese! Ich bin froh seid ihr nicht mit dem im Wagen versteckten Dieb losgefahren und zu einer Schlagzeile geworden…
    Gute Wünsche den beiden armen Raubopfern! Ich hoffe, die konnten sich mittlerweile auch wieder ein bisschen erholen von dem Schreck!

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    1. Sali du ! Ja du, die Beiden haben das weggesteckt – und nun einen mitgebrachten Sensor auch am Fenster befestigt. Man ist einfach etwas zu attraktiv für Diebe, wenn alles, was man besitzt, im parkierten Häuschen ist..
      Und ja du, wir hatten Glück; das ist doch etwas 🙂

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  3. Avatar von Elisabeth u.Sepp Elisabeth u.Sepp

    Hoi Rösli
    Oh Schreck lass nach! Ich kann mir gut vorstellen, dass einem in einer solchen Situation
    das Blut in den Adern gefriert.
    In einem gescheiten Buch habe ich einmal gelesen, dass man sich auf solche Ereignisse
    mental vorbereiten könne.- Wie würde ich reagieren wenn….- Aber ich glaube, das hast
    du spätestens jetzt intus.
    Nun wünschen wir dir einfach ein ganzes Bataillon Schutzengel und trotz dem
    viel Freude und Spass auf deiner Reise.
    Elisabeth und Sepp

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    1. Hoi zäme
      Echt ? Man kann sich auf sowas vorbereiten ? Das hätte ich gebraucht, wie mir scheint. Ich kann mir momentan noch nicht vorstellen, dass ich mich nächstes Mal heroisch in den Weg des Bösewichts werfe, denn so richtig mutig wurde ich ja erst, als der Typ weggerannt war… (hö..).
      Ja, die Szene ist schon ziemlich eingefahren, aber da wir ja auch Glück hatten (und eine gute Flasche Wein), war der Superschreck kurzer Natur..
      Für die Wünsche jedoch bedanke ich mich herzlich – die kann ich garantiert immer wieder brauchen – und ich schicke euch ebenfalls eine Handvoll davon, gälled ! Liebe Grüsse derweil ! Rösli

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  4. Avatar von Christine S. Christine S.

    Wenn einer eine Reise tut…
    Danke für dini spannende Erzählige, um was es ä immer gaht (das mit de Hünd häsch würkli super beobachtet 👍🏼😂😂)
    Wiiterhin alles Gueti uf dinere Reis und ganz vieli Schutzängeli. Liebi Grüess us em Zürcher Unterland 😘

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    1. Sali Christine
      Hämi schüli gfreut, vo dir zhöre, danke 😊
      Und danke au für d‘Schutzängeli – die brucht me ja eigentlich immer und überall, gäll ?!
      Ich wünsch dir au wiiterhin viel Freud – mit Hünd oder mit tanzete Linie – und en lange Summer ! ☀️☀️☀️

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