Einmal verrückt sein und aus allen Zwängen flieh’n…

Freiheit

Nachdem ich etliche Male danach gefragt wurde, wie es wrklich war zu gehen, und wie es wirklich ist, unterwegs zu sein: hier sind meine Einsichten dazu. Falls diese sich ändern sollten im Laufe der Zeit, komme ich gerne wieder..

Als ich den Entschluss fasste, meine Wohnung aufzulösen, wusste ich nur eines: gleich wie bisher wollte ich auf keinen Fall weitermachen in meinem letzten Lebensabschnitt, denn nach den Dritteln ‘Jugend’ und ‘Erwachsen’ war ich unversehens im Drittel ‘Alter’ angekommen. Wenn also nicht jetzt etwas wagen, wann dann ?

Mein privater Lebens-Rhythmus richtete sich in der Vergangenheit zuerst nach meiner Familie, und nachdem diese sich auflöste und die Kinder auszogen, nach meiner Arbeit; sie war der Kern, um den alles andere kreiste.
Mit meiner Pensionierung fiel der Kuchen ‘Arbeit’ weg, und es blieben die Rosinen übrig: etliche schöne, traditionelle Feiern übers Jahr, Jassen am Mittwoch, Linedance am Donnerstag. Das ist alles wunderbar, aber das würde nicht reichen, denn wenn das Ausfallen eines Jassabends eine mittlere Katastrophe darstellt, was bleibt dann ?

Auch das Ausfüllen der Zeit mit Kursen war nicht wirklich eine Option, denn mir fehlen spezifische Leidenschaften, die ich damit ausleben könnte, und ich wollte auch nicht dreimal die Woche ins Yoga oder Thai-Boxen, damit es wie früher etwas eng – und das Jonglieren von Terminen möglichst gleich bliebe wie bisher.

Es blieb also die Möglichkeit, mir täglich ein Opfer zu suchen für einen Kaffee im Laufe des Morgens – und ein anderes, bei dem es Wein gibt am Nachmittag. Und da dazwischen nichts passiert, wären unsere Gespräche vor allem Gerüchte, durchsetzt mit einer gelben Spur von Neid über die vielen Aktivitäten, die die anderen so beschäftigen, dass sie keine Zeit haben für uns, die wir nichts mehr haben als Zeit. Viel Zeit.

Alles fing an mit der Vorstellung, was unter diesen Umständen schlimmstenfalls aus mir werden würde. Sie hat mir nicht gefallen.

Und nun bin ich unterwegs – und wahrscheinlich so etwas wie genügsam geworden. Ich kann allein sein und mich prächtig verweilen mit Lesen oder damit, eine Gegend zu erkunden; ich bin bescheidener geworden und finde das Bewohnen dieses einfachen Bungalows nachgerade luxuriös. Ich kenne ihn zwar noch, den Unterschied zwischen wirklichem Luxus und diesem Bungalow, aber er spielt keine so grosse Rolle (mehr).

Und das ist die Einsicht dazu: Als ich in meiner grossen Wohnung lebte, wollte ich ständig etwas ‘verbessern’: ein noch schöneres Bild finden für die Wand, gediegener einladen, bessere Weine auftreiben, schönere Kleider tragen, teurere Restaurants besuchen. Die Liste von Begehrlichkeiten ist bekanntlich endlos, und es gibt keine Grenzen für besser, grosszügiger, schöner, teurer.
Und wenn das Jagen von ‘Steigerungen’ auch ein nettes Hobby ist – ein Lebensinhalt ist es nicht. Die Abwesenheit dieses Strebens ist es denn wohl auch, was ich unter Freiheit und ‘aus allen Zwängen fliehn’ verstehe. Es sind ja oft die Zwänge, die man sich selber geschaffen hat, die einem die Freiheit rauben.

Nach meinen ersten drei Monaten ‘On the Road’ läuft es schon richtig gut ! Nach der Ankunft auf einem Platz installiere ich mein Äuteli ziemlich routiniert – und finde manchmal sogar das richtige Elektro-Kabel auf Anhieb. Danach spaziere ich durch die Stellplätze mit dem Plan in der Hand, suche das Restaurant, die Duschen und das WLan, und schon bin ich daheim, denn mein eigenes Häuschen kenne ich ja. Wenn ich allein bleiben will, kann ich das, sonst setze ich mich an die Bar und lasse mich ansprechen – oder spreche an – das ist unter Campern gang und gäbe – und ein wirklich schöner Brauch.

Ich lerne viele Leute kennen (wenn man allein unterwegs ist, wird man oft angesprochen), meistens kenne ich auch das Personal der Restaurants etwas besser als andere. Sie alle reden mit der grössten Selbstverständlichkeit spanisch mit mir. Schade ist eigentlich nur, dass ich oft nicht so recht weiss, was sie mir mitteilen….   🙂

Mir gefällt es tatsächlich, mein Leben on the road ! Ich bleibe, wo es mir gefällt, und ich reise ab, wenn die Gegend nicht viel zu bieten hat – oder wenn mir ein Stammgast an der Bar auf den den Wecker geht.

Es gibt natürlich auch Momente, in denen ich mich sehr einsam fühle. Das wäre mir aber auch daheim in meiner Wohnung passiert, ist also keine Folge meiner Reise, wenn auch deswegen nicht weniger schmerzlich. Das dauert aber nie lange, denn immer wartet irgendwo etwas Neues, Interessantes.

Auch als Françoise und Ernesto abreisten, fühlte ich mich einen Moment lang völlig verloren im Bungalow, den wir zwei Nächte lang geteilt hatten und der so belebt war während der gemeinsamen Zeit, dann hatte ich Hunger und ging ins Restaurant, und schon war ich wieder aufgehoben beim Koch José und den Kellnern Manuel und Teresa. Und rückblickend wars einfach schön, dass Senns hier waren (auch wenn die Gegend nicht wirklich sehr reizvoll ist).

Dieses Bild ist für Françoise und Ernesto – mit ganz herzlichen Grüssen von den Dreien !José Manuel Teresa.jpg

Gestern habe ich beschlossen, die ‘Luxus-Infrastruktur’ zu nutzen, so lange ich sie habe, und habe gewaschen mit dem siedend heissen Wasser im Hüttli. Da ich die Wäsche nach dem Austropfen draussen abhängen musste, weil Sturmtief Emma wieder eine Runde drehte, habe ich eine Wäscheleine gezogen durchs Häuschen, die Heizung auf 30° gestellt, und als ich nach dem Abendessen zurückkam, hat sich meine Brille auf der Stelle beschlagen im selbstgebastelten Dampfbad.

WäscheDas Anstrengendste an dieser Sache ist das Planen und Entscheiden, wohin es als Nächstes gehen soll.
Und der Schritt, alles zu versorgen, Kästen zu schliessen, die Elektro-Nabelschnur auszustecken und das Auto aus dem Platz zu fahren, der ein paar Tage lang meine Heimat war, kostet mich noch jedes Mal Überwindung.

Aber dann bin ich unterwegs, und während dem Fahren überfällt mich manchmal ein breites Grinsen vor Freude darüber, dass ich es gewagt habe, das hier tatsächlich zu tun, egal, was danach sein wird.
PS Die Sonne scheint – na sowas…
Sonnenvilla7.jpg
PPS Meine Schwester Elisabeth hat mich an das Lied von Udo Jürgens erinnert, aus dem ich im Titel eine Zeile zitiert habe.

Der Text geht so – ich denke, wir alle kennen das Gefühl, von dem hier erzählt wird, auch wenn wir schon in New York waren..:

„Ich war noch niemals in New York

Und nach dem Abendessen sagte er
lass mich noch eben Zigaretten holen geh’n
sie rief ihm nach nimm Dir die Schlüssel mit
ich werd inzwischen nach der Kleinen seh’n

er zog die Tür zu, ging stumm hinaus
ins neon-helle Treppenhaus
es roch nach Bohnerwachs und Spießigkeit.
und auf der Treppe dachte er, wie, wenn das jetzt ein Aufbruch wär
ich müsste einfach geh’n für alle Zeit

Ich war noch niemals in New York, ich war noch niemals auf Hawaii
ging nie durch San Francisco in zerriss’nen Jeans
Ich war noch niemals in New York, ich war noch niemals richtig frei
einmal verrückt sein und aus allen Zwängen flieh’n.

Und als er draußen auf der Straße stand
da fiel ihm ein, dass er fast alles bei sich trug
den Paß, die Eurocard und etwas Geld
vielleicht ging heute abend noch ein Flug.

Er könnt‘ ein Taxi nehmen dort am Eck oder Autostop und einfach weg
die Sehnsucht in ihm wurde wieder wach
noch einmal voll von Träumen sein, sich aus der Enge hier befrei’n
er dachte über seinen Aufbruch nach.

Dann steckte er die Zigaretten ein und ging wie selbstverständlich heim
durchs Treppenhaus mit Bohnerwachs und Spießigkeit
die Frau rief „Mann, wo bleibst Du bloß, ‚Dalli, Dalli‘ geht gleich los“
sie fragte „War was?“ – „Nein, was soll schon sein.““

8 Gedanken zu “Einmal verrückt sein und aus allen Zwängen flieh’n…

  1. Avatar von Jeannine Jeannine

    Liebi Rose, Du bringsch es ufde Punkt. Wunderbar gschriebe, genauso isch es. Und es gaht mer so wie Dir. Mehr bruchts würklich nöd um zfriede und glücklich zsi. Letzte Summer womer mit em Truck Camper in Kanada unterwegs gsi sind, dete hani dänkt genau das isch es. Für was mehr? Gar nöd nötig. Chum diheime gsi, wieder im Hamsterrad vom Alltag dinne mit all dem wo Du beschriebe häsch… immer no besser und no schöner, debi hät mer ja scho alles. Jetzt simer mit Auto und Zelt unterwegs und es isch eifach toll, gemütlich und ich bin so zfriede & glücklich. Sogar mit Rege, wer hätte das gedacht. Amigs mal chli Strom um d Akus ufzlade und ä warmi Duschi ufm Campground isch herrlich. Am Morge wachi uf, dänke uuuhh min Rugge alles tuet weh, aber hey nachdem ich mich mal richtig duregstreckt ha, chli de de Körper bewegt ha, isch alles wie neu. Es tuet also wunderbar. Wobi hetti scho fast lieber en Camper. Eifach so chli wie es eigene Diheime, au wenns nur für 6 Wuche isch wie da in Neuseeland jetzt. Da hani mi doch wieder ertappt und dänkt, wieso vermieti mini Wohnung doch nöd für 1 Jahr und kaufe mer en Camper und bin mal unterwegs. De Gedanke chunt immer wieder. Aber denn dänki mer cha doch nöd. Doch mer cha! Bi eifach nonig bereit defür. Isch ja scho ä grossi Sach gsi eifach zkünde und mal vorzue luege was sich ergit und debi festzstelle, solang s Geld reicht suechi aso kein Job :o))) und mache wiiters eso.
    Und da hani no ä ganz ä tolli Gschicht glese Wahnsinn. Bin begeisteret. Also ich hetti no Ziit mit 50ig (krass i 7 Jahre also) sonen Wage zposte und entsprechend uszrüste…. Luegemer mal. Eis nachem andere. Lies mal dure:
    http://www.spiegel.de/einestages/26-jahre-weltreise-gunther-holtorfs-unglaubliche-reisen-a-1085297.html
    Ja und wenni scho debi bin mitnem Roman zschriebe… Din Blogeintrag über Esse & Verpackungen. Häsch au scho gmerkt dass es immer Züricher Geschnetzletes heisst. Ich ha de Knorr mal gschriebe, daaaass es Zürcher Gschnetzeltes heisst. Es hät sie nöd würkli interessiert, aber ich ha ä sehr äs langs Mail zrugg becho – immerhin. Und dänn schicki Dir per WA no es Foti dure vo eusem Snack zum Würfelpoker derzue womer vorgestr im Zelt gha händ. Bester Weisswein us Plastikbecher (wird immer wiederverwertet, mir dänket au ad Umwelt),Krackers mit Knobli Dipp druf…. Herrlich. Hamer denn vorgstellt dass mir anem Anlass sind, us edle Kristalgläser trinket, de Snack ufnem Tablet serviert bechömet und de Kellner immer wieder mit dem a eus verbi lauft und mir eis stibizet. Läck da schmeckts grad anders. Aber ich wet glich lieber im gemütliche Zelt sitze, als anem Apero :o))
    So gnueg für hüt. Gaaaaanz liebi Grüess und bis bald mal wieder, Jeannine

    Gefällt 1 Person

    1. Liebe Jeannine
      Ich habe mich sehr gefreut über dein Feedback, herzlichen Dank !

      Ich kann mir vorstellen, wie du – mit der Reiselust unter den Nägeln – darüber nachdenkst, wie du es anstellen könntest, einfach so weiterzumachen. Da hatte ich es sehr viel einfacher: meine Wahl war es, zu bleiben oder zu gehen.. Eigentlich müsste das Geld von der Vermietung deiner Wohnung die Reisekosten beinahe decken, oder ?

      Ich habe übrigens inzwischen auch herausgefunden, dass alles gleich ist bei Regen wie bei Sonnenschein, nur nasser.. 🙂 Und man kommt weniger gut aus den Stellplätzen heraus – beim letzten musste ein Franzose mit Traktor herausgezogen werden – die übertreiben aber auch mit den Luxusgefährten. Da stehen manchmal Riiiiesendinger, so gigantisch, als ob sie auf dem Platz gross geworden wären. Die haben Bar-Vitrinen drin !
      Und Sofas für 8 Personen ! Das einfache Leben ist auch nicht mehr, was es mal war…

      Die 26-Jahre-Weltreisegeschichte war toll ! Ja, DU könntest das noch hinkriegen, wenn du gleich loslegst !

      Nein, das ‘Züricher Gschätzlets’ habe ich noch nicht gesehen – ist aber peinlich, oder ?
      Es reicht, dass unsere Müesli so ulimativ zum Müsli mutierte ennet der Grenze, bis wir es am Ende auch so nennen (ich traue es uns zu), aber ‘Züricher’ ist so falsch wie Mexikoaner oder Guatemalaner oder Deutschlandaner, basta !

      Deine WhatsApp-Fotos sind wieder der Hammer – und ich sehe schon, du kennst ihn auch, den Geschmacks-Unterschied von Plastik und Karton vs. Silbertablett und Kristallgläser… 🙂
      Euer Apéro tönt herrlich, so oder so ! (die Vorstellung machts !)

      Ich freue mich darauf, von euren Abenteuern zu lesen – und grüsse euch Beide herzlich – bis bald !
      Rose

      Like

      1. Avatar von Jeannine Jeannine

        hi hi ja genau so gahts mer… und da chömet mir Hagis on Tour oder wie au immer (d Monika) in Sinn. Ich cha sie schaurig guet verstah. ja ja, das mit de Wohnig hani au scho duregrechnet :o) Mir sind jetzt grad ade Westküste und es schifft wie wahnsinning. ich glaube hüt nacht wird euses Zelt durchflutet… bin gespannt während ich jetzt im trockene im TV-Lounge-Room da ufnem Top10 Campingplatz. Mir sind jetzt Top10 Member… da gits jedes Mal 10% bim Campingplatz und die gits quer durch Neuseeland. und vorallem echt super Plätze (tolle Infrastrukture und super Duschene)
        Ach und da sind die Wohnmobiles nöd so gross und mängi sind also sehr zämebastlet :o) In Kanada isch das ganz anders gsi, da isch euse Truckcamper en Mini gsi nebet dene Luxus-Riiiesene vo Wohnmobil, fast scho en Zug!
        Ach ja und ich säge übrigens amigs au scho Müsli… gits ja nöd gell! De Deutschlandaner findi guet :o)
        Tschühüüüss und uf bald wieder! Jeannine

        Gefällt 1 Person

  2. Avatar von lisakathrin lisakathrin

    Mir war nie bewusst, wie deprimierend dieses Lied endet. Eigentlich müsste einem klar sein, dass es nicht darin enden wird, dass er einfach geht, aber… Bohnerwachs und Spiessigkeit und Dalli Dalli? Seufz.
    Jetzt da sich das Ende des Winters mal wieder hinzieht sitze ich auch gerne über Outlookproblemen und Kantinengnoggi und schaue im Flugplan nach wann der nächste Flug nach Mauritius, Male – oder Màlaga! – gehen würde. Sollte ich es dereinst mal anders machen als der gute Udo und tatsächlich einfach gehen, liesse ich es Dich natürlich umgehend wissen 🙂

    Gefällt 1 Person

    1. Gäll ! Mir war das auch nicht bewusst – aber so isses, wir schon Jim Knopf sagte…

      Ich hoffe gerne, dass du es mal schaffst (oder IHR), mich irgendwo zu besuchen. Sags einfach früh genug, damit ich einen Bungalow buchen kann und an einem gäbigen Ort bin. Bisher wusste ich noch nicht so recht, worauf es zu schauen gilt, denn eigentlich war mir alles recht mangels Vergleichsmöglichkeiten, aber in Zukunft werde ich vorsätzlicher hinschauen, ob sich ein Ort lohnen könnte für Besucher…. 🙂
      Dann bis dann – oder eher, ja ? Liebe Grüsse !

      Like

Hinterlasse einen Kommentar