
Mit den schönsten Orten Italiens ist es wie mit den Stätten des Welterbes: sie vermehren sich unkontrolliert, bis alles zum ‘Welterbe’ wird – oder jedes Dorf in Italien zum schönsten Dorf Italiens. Ich vermute mal, bei beiden Edel-Titeln handelt es sich oft einfach um raffiniertes Marketing, welches Touristen anlocken soll – und es auch prompt tut – was dann die geschützten Stätten wiederum wegen deren Ansturm gefährdet.

Es sind aber schon viele Orte und Stätten der Welt schützenswert: in Italien zum Beispiel die Lagunen von Venedig, die Höhlenstadt Matera, historische Altstädte wie Florenz, Rom, Siena..
Dass diese Altstädte fortan möglichst unverändert weiterbestehen sollen, hätte aber auch eine Stadtregierung beschliessen – und damit Abbruchgelüsten zuvorkommen – können; dafür wäre keine UNESCO nötig gewesen. Oder doch ?

Es gibt auch Orte in armen Ländern, die wirklich profitieren können vom Schutz durch die reiche UNESCO-Tante, z.B. die Galápagos-Inseln., polnische Nationalparks oder senegalesische Vogelschutzgebiete.
Dennoch: Alberobello mit seinen Trulli zum Beispiel ist seit seiner ehrenvollen Ernennung durch die UNESCO zu einem Puppenhaus und Touristenzirkus sondergleichen verkommen und könnte ebenso gut von Disney stammen und aus Plastik gebaut worden sein als von Steuer-scheuen Siedlern des 17. Jahrhunderts. Schade.
Lassen wir das; ich bin ja in Barga, einem der schönsten Dörfer Italiens. Aber der Reihe nach:

In Valdeiva/Ligurien war ich nach den Regenstürmen der letzten Tagen die Letzte, die den Platz verliess.

Barga/Toscana, 6. November.
Als ich gestern hier ankam, war das Sturmtief Ciarán eben erst über die Toscana gezogen; der Fluss Serchio sprudelte wild und hoch unter der alten Steinbrücke hindurch; von den Hängen herunter flossen Bäche von Wasser über die Strassen, und an den Strassenrändern lagen beiseite geschaffte, entwurzelte Bäume. Aber der Rest sah genau so aus, wie man sich die Toscana vorstellt: Zypressenalleen an Hofeinfahrten, weite Felder, ausladende Pinien, Olivenbäume..
Nach einer gemütlichen Fahrt von gut zwei Stunden stellte ich mich beim Weingut La Cantina del Vino in Barga neben die einzigen anderen Gäste hier, einem Berner Paar.. 😊


Die Chefin höchst persönlich hat mir für 3 Euro eine Flasche Vermentino aus dem Stahltank abgefüllt..
Rechts das Gemeindewappen von Barga. Wiki Heraldik bedauert, dass ihnen dessen Bedeutung noch nicht klar ist. Aber hübsch ist es !

Ich gestehe, dass das Marketing auch bei mir gewirkt hat, denn ich hatte eigentlich vor, nach einer Nacht beim Barga-Weingut weiter Richtung Süden in wärmere Gefilde zu reisen. Stattdessen habe ich eine zweite Nacht gebucht, um mir dieses schönste Dorf anzusehen, wenn ich denn schon mal hier bin (im Bild oben rechts ist das Dorf gerade noch erkennbar oberhalb des Wortes ‘Toscana’). Ausserdem scheint heute wieder vorsichtig die Sonne. Also los.



Ich bin unzähligen Stufen und steilen Strässchen auf den Berg hinauf gefolgt und habe mich oben keuchend gefragt, wie das denn all die alten Leute machen, die hier wohnen !

Dann habe ich es gesehen: sobald ein Gässchen knapp zwei Meter breit ist, ist es eine Strasse für Autos ! Und so eine Gasse führt seitlich am Dorf bis beinahe zum Dom hinauf. Es geht also schon, wenn man will.
Barga ist tatsächlich ein hübsches Dorf in einer schönen Umgebung – mit den üblichen, hässlichen Zeugen aus Industrie, Bausünden und Verwahrlosung, die wir überall finden können.






Der romanische Dom wurde zwischen dem 9. und 15. Jahrhundert erbaut und thront über den über- und aneinander gebauten Häusern der Altstadt am steilen Hang.




Die Aussicht von hier oben in die Weite hinaus ist wirklich herrlich !

Nach den vielen Gässchen, Treppen, Toren und Weitsichten kehrte ich auf drei kleine, himmlische ‘Stückli’ ein bei der Pasticceria Lucchesi und überdachte die Sache beim genussvollen Löffeln des Schaums auf meinem Cappuccino.
Fazit: Das war ein ganz wunderbarer Ausflug, und das Dorf Barga ist wirklich sehenswert.
Ob es den Titel ‘Eines der schönsten Dörfer Italiens’, verdient hat, bleibt für mich vorläufig fraglich..
Und schon sind wir beim Problem:
Wenn es sich nicht prahlerisch so bezeichnen würde, hätte ich es wahrscheinlich gar nicht besucht, was schade gewesen wäre.
Weil ich es aber genau deshalb besucht habe, war ich kritischer als ich es sonst gewesen wäre…
Und deshalb sollte es sich die UNESCO gut überlegen, ehe sie eine (noch) unberührte Natur zum Welterbe erklärt 😊

Schlusspunkt: Dass ich schon wieder schreibe nach dem erst kürzlich gemachten Beitrag liegt daran, dass es wieder ziemlich kühl geworden ist. Und mir war gerade etwas langweilig.. 😊
