
Über die Steinbrücke rechts gelangt man in die Altstadt. Das Castello beschützte Gallipoli vom 13.-17. Jahrhundert vor Plünderern aus dem Festland. Ähm: heute ist die Burg der Sitz der Finanzpolizei (der Schutz war offensichtlich nicht wirklich nachhaltig)..

Gallipolis schmucke Altstadt mit Stadtmauer liegt auf einer Halbinsel im Golf von Tarent.

Die Halbinsel rechts von der schwarzen Linie auf der rechten Karte ist das Salento, eine der fünf Unterregionen von Apulien.
Dieser östlichste Teil Italiens ist 100 km lang. 40 km breit, und liegt zwischen dem Ionischen und dem Adriatischen Meer.
Warum sollte man wissen, wo das Salento liegt ?
Nun ja, der Ort Salice Salentino liegt nur gerade 35 km von hier (Stichwort Negroamaro) und Manduria (Primitivo) knapp 50 km. Das sind schon mal zwei schöne Gründe !

«Gallipoli. Gallipoli…?» War da nicht etwas ? Als ich hier ankam, war mir, als wäre hier einst etwas Dramatisches passiert. Oder doch nicht ? Seltsamerweise wurde nirgends im Ort auf einen historischen Anlass hingewiesen.
Ich fand bloss diesen ziemlich verwitterten, griechischer Brunnen in der Stadt (links). Da die griechischen Einwanderer überall Kolonien gründeten, wo sie hinkamen, war das keine grosse Überraschung – und auch nicht besonders dramatisch.
Dann kam der „Ach-So–Moment„(zum Bild rechts).
Er kam, als ich las, dass es auch in der Türkei eine Halbinsel und eine Stadt mit dem Namen Gallipoli gibt ! „Schöne Stadt“ bedeutet das in griechisch. Da haben wir es wieder, das ‘Gleiche-Namen-Problem’, welches noch keines war, als die Menschheit zu Fuss oder mit Ochsenkarren unterwegs war..

‘Mein Drama’ hatte nämlich im TÜRKISCHEN Gallipoli stattgefunden !
Im ersten Weltkrieg gewann dort das Osmanische Reich unter Atatürk die blutige Schlacht gegen die einfallenden Engländer und Franzosen, welche 1915 unter Marineminister Winston Churchill Konstantinopel/Istanbul einnehmen wollten. Sie fuhren mit ihren Kriegsschiffen in die Dardanellen ein, um am Ufer von Gallipoli anzulegen. Osmanische Seeminen zerstörten dort jedoch ihre Schiffe und ihre Pläne, und das Massaker kostete 100’000 Menschenleben.
Ich muss wohl einst einen Film über diese Schlacht gesehen haben. Es gibt jede Menge Filme darüber, die meisten in Türkisch, was nicht weiter verwundert..

‘Mein Gallipoli’ in Apulien ist zwar auch uralt aber nicht besonders dramatisch – wobei es immerhin bereits 265 v.Ch. zum ersten Mal erobert wurde – damals von den Römern (später kamen auch hier noch die Vandalen, die Byzantiner und die Griechen..)

Der Campingplatz Torre Sabea im (italienischen..) Gallipoli.


Gleich vor dem Platz liegt das Meer mit felsigem Strand, wo man zwar nicht schwimmen, aber herrlich spazieren kann. Da ich eh nicht schwimme zu dieser Jahreszeit (also gut: auch sonst nicht sehr..), passt das ganz wunderbar. Die Sandstrände gibt es zwei Kilometer weiter – im Sommer selbstverständlich mit Shuttle Service.

Ich wohne inzwischen seit bald drei Wochen auf dem ‘Agricamping Torre Sabea’.
Seinen Namen hat der Platz von diesem Wach- und Wehrturm gegen Piraten, welche im 15. und 16. Jahrhundert die Gegend unsicher machten.

Jeden Samstag kocht auch hier die Nonna ein fixes Menu für die Camper im ansonsten für den Winter geschlossenen Restaurant. Manchmal gibt’s zuerst ein Tellerchen mit Pommes und Kartoffelkroketten (also Pommes mit Gemüse…), gefolgt von feiner Pizza. Dazu gibt’s immer einen Viertelliter guten Hauswein und ein Wasser – 15 Euro. Da versteht man plötzlich, warum so viele sagen, es wäre zwar sehr schön bei uns in der Schweiz – aber (dio mio !) teuer. Was müsst ihr alle reich sein !

An dieser Stelle erwähne ich jeweils bescheiden, dass auch bei uns alles billiger wäre, wenn wir die Berge glätten könnten und damit augenblicklich zu einem der grössten Länder Europas würden (ich meine: was gäben nur schon das Matterhorn, der Säntis oder der Creux du Van an Landfläche her !).
Dann hätten auch wir jede Menge billiges Land zu verkaufen (topfeben wäre das Land sowieso wenig wert..). Da das Glätten (vorläufig) noch nicht möglich ist, bleibt das limitierte Landangebot wertvoll und damit die Preise für Land-Besitz und für Mieten hoch – auch für Läden und Restaurants – und als Folge davon auch deren Produkt-Preise.
Die Löhne müssen diesen Preisen gerecht werden, weil sonst alle Angestellten obdachlos würden, und deshalb sind diese ebenfalls höher als anderswo. Das gleicht sich jedoch alles wieder aus beim Bezahlen von Eigentum oder Miete und dem allgemeinen Lebensunterhalt im Vergleich mit anderen Ländern. …keuch… Et voilà: alles ist relativ !

Links: langes Warten auf die Pizza della Nonna… Rechts: zu Ehren von Maria Empfängnis gab es ein Festessen mit dicken Sandwiches aus runden Broten namens ‘Puccia Salentina’, üppig gefüllt mit Thon, Oliven, Tomaten und Rucola. An diesem speziellen Feiertag wird dieses Rundbrot ‘Puccia dell’immacolata’ genannt. Traditionen werden hier halt hoch gehalten.

Karin hatte ich gerade noch in Paestum kennengelernt am Tag ihrer Abreiset. Sie fährt mit einer SG-Autonummer und spricht Zürichdeutsch; bei mir ist es genau umgekehrt – das verbindet ! 😊 Ihr kleiner Pinscher-Mischling ‘Fina’ lebte einst auf einer Abfallhalde hier in der Gegend und ist schlicht zum Verlieben schnusig. Sie bellt nie, ist super erzogen und hat keine Angst davor, auch grosse Hunde anzusteuern zum Kennenzulernen. Wenn sie sich zum Schlafen zusammenrollt, ist sie kaum grösser als eine Katze.

2020 hatte Karin ein paar Lockdown-Monate in Gallipoli verbracht, und sie kam zurück aus nostalgischen Gründen.
Ich andrerseits möchte etwas mehr von Apulien sehen, denn eigentlich kenne ich erst Alberobello. Wir hatten abgemacht, dass wir eine Flasche Wein teilen würden in Gallipoli. Wenn das kein Grund ist ! Hier hatten wir auch prompt viel Spass miteinander, tranken unsere Flasche Wein (und so..) an jenem Abend – und für die nächsten zwei Tage hielt ich mich freiwillig an Wasser zu den Mahlzeiten.. 😊

Wir sind auch nach Gallipoli geradelt und durch die Altstadt flaniert, haben Kaffee getrunken beim Castello und in einer Pasticceria feinste Mandelbögen und Pasticciotti gekauft. Letztere gleichen den Madeleines, sind aber aus knusprig gebackenem Mürbeteig mit Vanillepudding-Füllung und einer Amarena-Kirsche in der Mitte. Himmlisch !
Karin ist inzwischen in die Schweiz zurück gefahren mit Zwischenhalt in Venedig, und ich bin hier hängengeblieben, weil es einfach passt..

Apulische Spezialitäten v.l.n.r.: Die würzig-knusprigen ‘Taralli’ werden auch in Bars zum Weisswein gereicht, zum Kaffee gibt es ein süsses ‘Pasticciotto’ und das luftige Brot ‘Puccia’ gibt es immer mal wieder..

Schön ! Aber es gibt auch eine Kehrseite…

Ist das nicht ein wunderschöner Strand ? Romantisch, einladend, herrlich !

Derselbe Strand von etwas weiter hinten aufgenommen. So (und noch weit schlimmer) sieht es hier an vielen Stränden aus, wenn nicht gerade Saison ist und sie täglich ‘entrümpelt’ werden von Wagenladungen voller Rumänen, die dafür angestellt werden.
Der Abfall wird vom Meer angeschwemmt, durch einmündende Bäche angespült oder gleich persönlich am Strand entsorgt. DAS HIER ist eine nationale Schande, nicht die Höhlenwohnungen von Matera ! An jeder Ecke stehen Abfalltonnen. Und Sackgebühren gibt es hier auch keine ! Nachdem ich das nun wieder einmal erwähnt habe, begebe ich mich wieder vor allem auf die Suche nach dem Schönen hier. Und davon gibt es ja ebenfalls eine Menge !

Aber erst noch dies, wenn ich schon am Lamentieren bin: diese weissen Wohnblöcke stehen im Dorf gleich um die Ecke von hier. Im Sommer geht dort Tag und Nacht die Post ab mit touristischem Hochbetrieb, und für den Rest des Jahres ist es eine der viel zu zahlreichen Geisterstädte am Meer. Bis die Touristen (auch die einheimischen) wieder kommen, wohnt dort praktisch niemand von November bis Mai.
Im Ort gibt es deshalb keine ‘Ganzjahres-Familien’, keine Schulen, keine offenen Restaurants oder Läden – und keine Jobs.
Es bleibt zu befürchten, dass es auch bei uns solche Orte gibt, etwa in kleinen Bergdörfern, welche hauptsächlich aus Ferienwohnungen bestehen..

Genug gejammert. Das Meer ist nämlich auch im Dezember schön. Besonders, wenn es wie heute etwas wild daherkommt.

Das Wasser des Ionischen Meers ist kristallklar

Hier sieht man oft Kaktusfeigen-Blätter als hängende Dekoration. Die scheinen ewig zu halten.. Hübsch !


Downtown Gallipoli. Camper-Nachbarin Ellen und ich auf der Suche nach dem Mittwoch-‘Mercato’. Bis wir ihn fanden, waren die ersten Standverkäufer bereits am Einpacken ihrer Ware. Macht nichts, es gab noch genug andere, und eigentlich brauchten wir ja auch nichts.

40% der italienischen Olivenproduktion stammen aus Apulien. Auf dem Markt sieht man das gut.

Eine farbenfrohe Angelegenheit wie überall auf solchen Märkten. Es hat Spass gemacht, zwischen Früchten und Kleidern, Putzmitteln, Pflanzen und Küchengeräten zu flanieren.
BLÖD ! Richtig blöd ist allerdings, dass mein e-Bike nach dem Marktbesuch den Geist aufgegeben hat. Ich hatte vergessen, wie schwer so ein Ding zu bewegen ist ohne Unterstützung ! Es könnte an allerhand liegen, aber nach fünf Jahren holt mich nun ein, dass Ersatzteile für Bosch-Bikes sehr viel einfacher zu haben sind als für Yamaha-Bikes. Das wird wohl nichts mit der Reparatur in Italien. Wie gesagt: blöd ! Saublöd !

Das ist die Platzeinfahrt nach zwei Tagen Dauerregen und nach bereits ein paar Stunden Wasser-Abpumpen. Ich habe meinen Spaziergang auf das höher gelegene Gelände des Platzes verlegt, und die Hundebesitzer haben die Hosen hochgekrempelt und sind barfuss in Crocs durch die Suppe zum Strand gewatet mit ihren Vierbeinern.

Es hat bisher zuverlässig an etwa drei von fünf Tagen geregnet, und wenn man nichts sieht beim Reisen, ist es schade um die (möglicherweise) schöne Gegend.
Ich möchte immer noch nach Sizilien, habe aber beschlossen, mit der Weiterreise bis nach Neujahr zu warten:
Es eilt ja nicht (noch beinahe eine Woche bis zum kürzesten Tag des Jahres); ich lebe hier sehr bequem, habe nette Nachbarn auf dem schwach besetzten Platz, ziemlich gutes Wlan, super Einkaufsmöglichkeiten und hin und wieder ein Camperfest im Restaurant. Ich habe bisher einfach nur gewohnt, möchte mir aber noch die Südspitze des Salento ansehen – und Otranto drüben an der Adriaküste scheint auch einen Ausflug wert zu sein. Und dafür warte ich doch gerne auf besseres Wetter.

Alles wird besser im Januar. So will es die Tradition, und die wird hier bekanntlich gepflegt.
Meine meist sonnigen Fotos sollen übrigens nicht über das Wetter hinwegtäuschen – ich bin ja kein Influencer 😊 – ich gehe einfach nicht allzu gern im Regen spazieren..

Ich wünsche euch allen ein schönes Wochenende und einen gemütlichen vierten Advent !
