
Matera liegt in der Region Basilicata im Mezzogiorno und am Rand des steil abfallenden Flusstals der Gravina.
In dieser Siedlung lebten noch vor 70 Jahren 20’000 Menschen auf engstem Raum in den ‘Sassi’ genannten Stadtteilen – in Kalkstein-Grotten und -Höhlen !


Eine typische Höhle aus der Zeit.. Lang, tief, mehrstöckig nach unten, dunkel, feucht..
Die ersten Höhlenbehausungen gab es in Matera allerdings schon vor 10’000 Jahren, als während der Jungsteinzeit aus den Jägern und Sammlern allmählich Hirten und Bauern wurden, welche sich Hühner, Ziegen – und möglichst einen Esel als Zugtier – hielten und das Land zu bewirtschaften begannen.

Weil die Höhlen dicht an dicht liegen in den engen Gassen am steilen Hang, lebten die Tiere drinnen mit den Familien. Dort waren sie vor Diebstahl sicher und gaben gleichzeitig willkommene Wärme ab. Diese war auch nötig, denn Kalkstein hat die unangenehme Eigenschaft, sich wie ein Schwamm mit Wasser vollzusaugen; es war also immer kalt und feucht in diesen Behausungen, und das einzige Tageslicht kam von den Grotteneingängen. Die Leute waren sehr arm, die Kindersterblichkeit hoch, und Krankheiten wie Cholera, Malaria oder Typhus verbreiteten sich rasant in den engen, überfüllten Quartieren.


Auch die Kirche auf dem Berg ist in den Sandstein geschlagen: Felsenkirche Madonna dell’Idris

Und dann publizierte der Schriftsteller, Maler und Arzt Carlo Levi 1945 sein Buch ‘Christus kam nur bis Eboli’, (was in etwa steht für: « Zivilisation, Fortschritt und Prosperität haben es nicht bis Matera geschafft»).
In seinem Buch verarbeitete er in Romanform, was er ab 1935 während seiner fünfjährigen Verbannung durch Mussolinis Faschisten in dieser Region gesehen hatte. Er beschrieb, wie das einzige fliessende Wasser jenes war, das aus den Kalksteinwänden tropfte, wie erbärmlich die hygienischen Verhältnisse waren und wie krankheitsanfällig und abergläubisch die Menschen.

Und nach nur 10’000 Jahren nahm man plötzlich weltweit Notiz von der vorher nie beachteten Höhlenstadt in der Nähe von Bari. Ein Aufschrei ging durch das Land, und die Regierung bezeichnete die Siedlung als ‘Nationale Schande’.
Nun wurden in aller Eile Wohnblocks aus dem Boden gestampft, die Höhlen 1952 zwangsgeräumt und deren Bewohner umgesiedelt. Die Sassi sollten abgerissen werden, wurden aber vorerst dem Verfall überlassen.

Dann entdeckten jedoch Filmemacher diese historischen Ideal-Kulissen – vorerst vor allem für Szenen aus der Bibel.
Pasolini war hier, aber auch Mel Gibson und Ben Hur – und 1978 wurde auch das erwähnte Buch von Carlo Levi hier verfilmt. Und schliesslich kamen 2012 sogar Szenen im James Bond Film ‚Skyfall‘ dazu (danke schön für den Hinweis, Julia).
Die Hoffnung auf bessere Zeiten hatte die früheren Bewohner von Matera bereits vorher dazu bewogen, Abfall und erste Spuren des Verfalls zu beseitigen.

Bald gab es alternativ-romantische oder politische Lesungen und kleine Kunstausstellungen in einzelnen Höhlen, und ganz sachte begann eine Wiederbelebung des Ortes und der Aufstieg zum internationalen Touristenmagneten. Es ist erstaunlich, wie lange Matera unsichtbar bleiben konnte, bis ein simples Buch alles veränderte.



Inzwischen hat Matera 60’000 Einwohner, von denen die meisten im modernen Stadtteil oberhalb der antiken Quartiere leben. Dort gibt es breite Strassen, Aussichts-Terrassen und edle Museen. Und natürlich Touristeninfos..



Die Arbeiten in der Altstadt sind noch im Gange, und die alten Sassi-Höhlen beleben sich nach und nach mit Bars und Restaurants, mit Hotels, Souvenirläden, Büros und modernisierten Grotten-Wohnungen (inklusive Heizung, Fernseher, Computer und Toiletten mit Wasserspülung !) Es lebt sich offensichtlich gut im stilgerecht renovierten Freilichtmuseum.
Diese uralte Höhlenstadt hat ihren ganz eigenen Charme (und je eine Prise Unwirklichkeit und Hollywood).
Vor 70 Jahren wurde sie erst zum Schandfleck, dann zum Hoffnungsträger und Marketingmaterial – und schliesslich zum Wirtschaftsfaktor dieser Gegend. Eine schöne Geschichte !
Ich wäre gerne eine Nacht länger geblieben, um nochmals durch die geschichtsträchtigen Gassen zu streifen. Als ich jedoch am Morgen erwachte, regnete es heftig, und nach einer Sturmwarnung für die nächsten paar Tage musste ich erkennen, dass ich ein Mords-Wetterglück gehabt hatte bei meinem Besuch. Das muss dann wohl vorläufig reichen.


Na dann ! Auf nach Gallipoli !
