Ich habe kürzlich Doyles 50 Kurzgeschichten mit Sherlock Holmes gelesen. Natürlich nicht alle aufs Mal, aber immer mal wieder eine, wenn ich eine Zwischen-Lektüre brauchte. Die Geschichten sind spannend, und Sherlock Holmes ist tatsächlich brillant. Seltsam, aber brillant.

Es ist schon auffallend, wie zuverlässig die Damen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert in Ohnmacht fielen.
Eine schlechte Nachricht, ein nächtlicher Schrecken, eine feurige Liebeserklärung, ein ertappter Einbrecher, und zack – weg waren sie !
War das wirklich nur eine Modeerscheinung ?
Falls ja: wie haben die das hingekriegt ? Und warum hatte nicht die Hälfte der besseren Gesellschaft ständig Beulen am Kopf vom Aufschlagen ? Und wenn sie keine hatten (weil das Ganze bloss vorgetäuscht war), warum hat man dann Riechsalz geholt, um die Gute ‘wiederzubeleben’ ?
Ausschliesslich an den eng geschnürten Walknochen-Korsetts kann es ja nicht gelegen haben, dass nur die ‘bessere Gesellschaft’ dem Brauch frönte.
Es gab zu viktorianischen Zeiten doch tatsächlich ‘Ohnmachtsräume’ in besseren Herrschaftshäusern. Ich kann die Hausherrin förmlich hören: «Komm, Kusine Mary, lass uns vor dem Abendessen noch ein kleines Viertelstündchen in Ohnmacht fallen».
Das männliche Gegenstück zur Ohnmacht war zu jener Zeit das ‘Brain Fever’. Die Bezeichnung steht zwar ausserdem für die durchaus gefährliche Hirnhautentzündung, aber oft war es laut den Erzählungen eine andere Form der Ohnmacht, auf welche die Herren zurückgriffen, um sich ebenso effektiv aus einer Affäre zu ziehen wie es die Frauen mit ihrem ‘Swooning’ taten.

Sir Henry Baskerville zum Beispiel fiel aus Versehen in eine (eigentlich den Frauen vorbehaltene) Ohnmacht, als der fluoreszierende Höllenhund auf ihn zugeschossen kam im Nebel. Er besann sich danach aber eines Besseren und ergab sich noch in derselben Nacht dem fiebrigen, sehr männlichen Delirium, welches deutlich mehr hermacht. Der arme Kerl musste als Folge des Schreckens rund um die Welt reisen (natürlich in Begleitung seines Arztes), ehe er vollständig geheilt war und Gottseidank seinen gewohnten, herrschaftlichen Müssiggang wieder aufnehmen konnte.
Wahrscheinlich haben sich die Männer das ‘Brain Fever’ abgewöhnt, weil es heutzutage einfach zu wenig Familien gibt, die es ihren Mitgliedern finanziell ermöglichen könnten, sich immer mal wieder auf einer Weltreise von einem Schrecken zu erholen.
Und die Frauen ? Nun ja, wenn man als Hauptdarsteller auf dem Sofa liegt und mit geschlossenen Augen auf das Riechsalz warten muss, verpasst man womöglich den besten Teil des Riechsalz-Such-Dramas. Anders kann ich mir nicht erklären, warum dieses probate Mittel eines Tages sang-, klang- und ersatzlos verschwand.
😊
Warum ich Zeit habe, antike Ohnmachten zu beleuchten ?
Das wiederum ist eine ganz andere Geschichte..
