Dreistädtetrip Helsinki, Tallinn und Riga

Wenn ich es mir so überlege, haben beinahe alle Städte der Welt einen wunderschönen KERN, sind aber aussen herum eher grau, industriell, etwas langweilig und unansehnlich, nicht ? Das gilt auch für Helsinki, Tallinn und Riga. Ich sage dies, damit diese Tatsache nicht untergeht im Schwärmen, und damit nicht der falsche Eindruck von ‘perfekt’ entsteht. Falls jemand eine Stadt kennt, die von aussen bis innen perfekt ist, möchte ich diese wirklich gerne besuchen. (na-haaaa ?).

In Helsinki fiel mir auf, dass ich weiter im Norden keine Strassenmusikanten mehr angetroffen hatte (vielleicht war es ihnen auch zu kühl dort). In meinen drei Städten gibt es sie wieder überall, vom Klassik-Trio über Rockröhren bis hin zu Fiddlern und Flötenspielern.

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Da sind sie, meine Stationen von Norden nach Süden. Heute bin ich in der Nähe von Vilnius angekommen.

Zwischen Litauen und Polen liegt eine russische Exklave um die Stadt Kaliningrad. Dort darf ich nicht hin ohne Visum, aber nach Weissrussland dürfte ich im Prinzip während dreissig Tagen, hat mir ein Belarusse gesagt, den ich zu seinem Autokennzeichen BY befragt hatte..

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Die Aussicht vor dem Campingplatz in Heinola nördlich von Helsinki auf einer kleinen Insel.

Hier gibt es eine Sauna, die von morgens 7.30h bis 9.30h für Frauen reserviert ist, von 10 bis 12 für Männer. Ich hätte das ja lieber anders herum, denn an meinen beiden Sauna-Morgen habe ich es jeweils gerade noch hinein geschafft um 8.50h und musste mit dem Timer durch die Entspannung stressen.. 😊
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Ich wohne hier zwar auf der Insel, gleichzeitig aber ’unter einer Brücke’, über welche der Verkehr Tag und Nacht rattert. Erstaunlicherweise gewöhnt man sich rasch daran, wenn man nicht immer hier wohnen muss (vielleicht sogar dann..)

Helsinki

Randnotiz: Finnland wurde 1809 zu einem Grossfürstentum unter russischer Herrschaft und erst 1917 unabhängig.

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Der Dom und Wahrzeichen von Helsinki
(finnisch Helsingin tuomiokirkko oder Suurkirkko, schwedisch Helsingfors domkyrka) ist eine evangelische Kirche und die Kathedrale des lutherischen Bistums Helsinki. Ein paar Prozent von Finnlands Bevölkerung sind Schweden, weshalb viele Dinge auch in Schwedisch angeschrieben sind. Nicht, dass ich schwedisch könnte, aber im praktischen Vergleich verstehe ich es um Welten besser als finnisch..

Helsinki hat eine einzige U-Bahnlinie, man kann sich also nicht wirklich verfahren. Und praktischerweise ist eine Haltestelle gleich um die Ecke vom Campingplatz und deponiert einen direkt im Zentrum der Altstadt.

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Vorne ein öffentliches Bad, dahinter die Anlegestelle für Ausflugboote, rechts davon der grosse Marktplatz und ganz rechts der Dom. Ferienstimmung !

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Die Uspenski-Kathedrale
Sie ist im russisch-byzantinischer Stil aus roten Ziegelsteinen erbaut – und 1868 eingeweiht worden. 13 Kuppeln mit vergoldeten Spitzen leuchten hell in der Sonne und machen aus dem Backsteinbau erst das anziehende Schmuckstück.

102_7_UspenskiAuch das Innere ist prachtvoll geschmückt mit viel Gold und kyrillischen Beschriftungen

102_8_HEL_KämpIst dieser Eingangsschmuck vor einem Hotel nicht wunderschön ? Die Orchideen sind echt !
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102_10_MonamiAuf dem City Campingplatz Rastila, das Restaurant ‘Monami’. Jeder Raum im Haus ist umfunktioniert worden in Gaststuben, Stübchen und Galerien. Es ist so gemütlich dort, dass man gar nicht mehr weggehen möchte. Ausserdem kochen die Damen hier vorzüglich !

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Die Arche Noah steht auch hier und wird ebenso bewohnt wie der finnische grüne Walfisch mit Dachterrasse.

Von Finnland nach Estland mit der ‘Viking Line’

Zwischen den beiden Ländern (bzw zwischen Helsinki und Tallinn) liegen 90 Kilometer; dafür benötigt die Fähre knapp drei Stunden.

Ich stand mit vielen anderen am Hafen von Helsinki und staunte, wie effizient die Fähren entladen und beladen werden (zum ersten Mal fuhr ich hier in einem bis zum letzten Platz besetzten Schiff).

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Zuerst war aber etwas Geduld angesagt, denn die ausgebuchte Fähre von 10.30h war noch vor uns dran. Ich wartete mit einer ganzen Reihe von Oldtimern, die an der ‘American Beauty Car Show’ in Estland teilnehmen wollten – mit Autos in verschiedenen Rost-Stadien und mit Damen mit getupften Schleifen im Haar und Betty Boop Täschchen am Arm.

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Von den vier Buchstaben des Markennamens am Heck sind noch ‘F_R_’ übrig… (sogar ich löste dieses Rätsel – mehr wüsste ich aber beim besten Willen nicht über diese spezifische, offenbar Show-würdige Rostlaube zu berichten..)

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Ein letzter Blick zurück nach Helsinki, dann stürzten sich viele Gäste direkt an die (zollfreie) Bar und bestellten erst einmal einen doppelten Cuba Libre (es war inzwischen ja auch bereits 11 Uhr 30 geworden…).

Dieses Mal hatte ich mir mein Parkdeck gemerkt, und als wir in Tallinn ankamen, sass ich abfahrbereit im Auto im dritten Stock beim Ausgang 3.4. Es geht schon, wenn man es einmal gelernt hat… 😊

Tallinn – Hafen und Mittelalter-Charme

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Der Hafen Pirita mit Campingplatz in Tallinn.

Dieser Hafen wurde extra gebaut für die Olympischen Spiele von 1980; unten beim mittleren Fahrenmast ganz links steht sogar noch die ‘Lampe’ für das Olympiafeuer. An der Sport-Infrastruktur hat der Zahn der Zeit genagt, aber der Hafen selber fühlt sich richtig heimelig an, und es gibt hier alles, was man braucht, sogar ein ‘Sailors Home Café’ mit Terrasse. Ausserdem ist man mit dem Fahrrad in knappen 15 Minuten mitten in Tallinn.
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Auch abends wird den Gästen im Hafen Pirita etwas geboten

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Dieses originell bemalte Boot wurde eben auf den Platz gefahren. Ein gelungenes Werk, finde ich.

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Tallinn ist wunderbar anders !
Und eine Hansestadt ist es auch ! Sie hiess lange Reval und trägt deshalb das ‘Hanse’ nicht im Namen. Stolz ist sie dennoch auf das Erbe, und hier hat man beschlossen, dieses konsequent zu vermarkten. Das zieht sich durch die ganze Altstadt hindurch.

Es gibt scharenweise Angestellte in mittelalterlichen Kostümen. Sie sind Kellner, Verkäufer in stilechten Interieurs, Musikanten und Sänger auf üppig mit Blumen und Pflanzen dekorierten Plätzen. Man trinkt Kaffee aus glasierten Tontassen und taucht ein in das Pfeifen der Dudelsäcke, das Wummern der Trommeln und die Ankündigungen des Marktschreiers, die jeweils mit ‘Vivat’ enden und von allen anderen Darstellern mit einem ‘Vivat’ beantwortet werden.

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Das unfallfreie Gehen in diesen Schuhen dürfte einiges an Übung erfordert haben. Laut diesen beiden ‘Hanseaten’ waren Schnabelschuhe der Oberschicht vorbehalten; da war das Üben wohl kein allzu grosses Opfer..

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Etliche Wachtürme und Mauern der mittelalterlichen Stadt sind gut erhalten und geben dem Ganzen einen authentischen Rahmen

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Auch hier fehlt sie nicht, die vergoldete orthodoxe Kirche am Aussichtspunkt über der Stadt..

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Die markante Pyramide rechts habe ich schon von meinem Platz am Hafen aus gesehen und wollte es genauer wissen.
Das hätte ich mir ebenso gut ersparen können, aber nun weiss ich immerhin Bescheid. Ein alter Herr mit triefenden Augen hat am Eingang einen Euro fünfzig von mir kassiert, mir ein Traktätchen in die Hand gedrückt und mich Richtung Geröllhalde geschickt.

Es handelt sich um ein ehemaliges Kloster der Birgitterinnen (estnisch Pirita), welches 150 Jahre lang existierte, bis die russische Armee 1575 die Nonnen gefangen nahm und es zerstörte. Danach diente das Material als Steinbruch für Bauten in der Umgebung. Ok. Erledigt.

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Riga – eine Perle von einer Stadt

Riga liegt an der Düna und ist die Hauptstadt Lettlands. Sie gilt auch als die nordeuropäische Hauptstadt des Jugendstils, welcher um die Wende vom 19. zum 20.Jahrhundert aufkam. Was für eine fröhliche, lebhafte, freundliche Altstadt mit ihrer charmanten Mischung aus Mittelalter und Jugendstil ! Und gleich jenseits der Brücke die Moderne, die hier ebenfalls zelebriert wird.

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Die beiden stimmgewaltigen Bandura-Spieler aus der Ukraine sangen sich direktamang in mein Herz mit ihrem melancholischen ‘Lety, Moia Dumo’. (ich hatte ja ein Mini-Filmchen gemacht, aber mein Gratis-Blog unterstützt diese nicht – pah !)

Da mein Ukrainisch noch viel schlechter ist als mein Finnisch (in Finnisch weiss ich immerhin, was ‘offen’ heisst 😊 ), habe ich keinen Schimmer, was das bedeutet, aber das Lied berührte mich dermassen, dass ich ihnen 5 Euro in den Kasten warf, obwohl ich normalerweise maximal 10 x 2 Euro an Musikanten spendiere pro Stadtbesuch.

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Für einen Euro darf man hier 5 Minuten lang versuchen, den Meister zu schlagen. Der Meister ist der Junge im Vordergrund, und diese Partie hat er locker für sich entschieden unter dem Applaus der Zuschauer.

102_34_RigaDas moderne Riga auf der anderen Seite der Düna

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Ein älteres Paar aus Riga hat mich angesprochen im Strassencafé, wo ich einmal mehr ein Pecan-Süssgebäck mit Kaffee genoss (ich befürchte, ich habe ziemlich an Gewicht zugelegt, seitdem ich mich auf die Süssigkeiten des jeweiligen Landes spezialisiert habe).

Als sie ‘Schweiz’ hörten, ergingen sie sich augenblicklich in ein Loblied darüber.
Als sie letztes Jahr nämlich ferienhalber in Rapperswil waren, vergass der Mann seine Kamera auf der Bank im Café. Er bemerkte dies erst, als sie sicher fünf Minuten weiter geschlendert waren. Er wollte nicht einmal zurückgehen, weil er überzeugt war, dass das Ding schon längst gestohlen worden wäre. Da rannte ihnen ein Mann hinterher, musterte die Beiden und überreichte dem Mann seine Kamera. Er hatte die Besitzer anhand der gemachten Bilder identifiziert.

Diese Geschichte erzählt der Mann immer wieder (warf seine Frau entschuldigend ein) – aber gibt es eine bessere ‘Reklame’ für ein Land als solche Geschichten ? Mich hat sie jedenfalls gefreut (obwohl ich eine vorsätzliche Wiederholung dieser Situation nicht empfehlen würde…).

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In den Strassen tummelten sich am Samstag viele Gruppen zum Fest des Junggesellenabschieds.
Ein bemitleidenswerter Kandidat rannte auf Skiern durch die Altstadt, angefeuert von seinen bereits ziemlich bierseligen Polterabend-Kumpeln. Die Damen hier haben ihre High Heels montiert (sehr ungünstig auf Kopfsteinpflaster), um es sich vielleicht auch dereinst leisten zu können, in bequemen ‘Braut-Turnschuhen’ ihren eigenen Abschied zu feiern.. 😊

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Gestern kam ich 350 Kilometer weit entlang riesiger, flacher Kornfelder. Lettland und Litauen müssen zwei der Kornkammern Europas sein; die Kornfelder dehnen sich aus, soweit der Blick reicht. Die Felder werden von etwas Wald oder Busch begrenzt, und hin und wieder gibt es zur Abwechslung ein Maisfeld oder eine Wiese. Die Bauernhäuser dazwischen sind aus altem Holz mit Wellblechdächern – oder aber herrschaftlich aus Stein mit glänzenden Silos daneben.

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Nach den drei Städten und 1000 Eindrücken hatte ich plötzlich keine Lust mehr, mir nun auch noch Vilnius anzusehen. Ich wählte deshalb einen Campingplatz auf dem Land.
Auf diesem Platz ist es in der Nacht so still, dass man beinahe glaubt, die Tannen atmen zu hören.

102_39_RudiskesDas Ding rechts vorne ist die einzige Beleuchtung Richtung Toiletten in der sonst zappendusteren Nacht. Schade, dass das Lämpchen kaputt ist… 😊

Der Platz ist auch beinahe leer: zwei Zelte stehen unten beim Weiher, und vier WoMo weit verteilt rund um die Blockhütte mit dem Aufenthaltsraum und der Reception. Es ist so richtig friedlich hier.

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Ich glaube, nun ist meine Neugier für eine Weile so etwas wie aufgebraucht  – und mein Eindruck-Speicher voll.

Ich dachte schon einmal über ein etwas zügigeres Heimreisen nach. Geht aber nicht, denn wenn ich 350 km weit komme an einem Tag, bin ich dafür mindestens vier Stunden unterwegs und finde dann, dass das reicht. Und es ist natürlich auch so: wenn man schon mal hier ist…

Vielleicht schaffe ich es aber, den Verlockungen von Minsk, Warschau, Berlin, Prag und Wien (samt Lodz und seinem Theo) zu widerstehen…😊 – und halt ein anderes Mal nochmals hierher zu kommen.

Auf jeden Fall aber freue ich mich schon sehr auf alle bekannten Gesichter und das  Heimkommen. 

2 Gedanken zu “Dreistädtetrip Helsinki, Tallinn und Riga

  1. Avatar von Lisa Lisa

    Ich hatte ja gehofft einen Kommentar zur perfekten Stadt oder der Rostlaube zu finden, aber es schweigen sich alle aus, hm?
    Wir wissen, dass ihr da draussen seid, Autofreaks und Globetrotter, sagt was! 😁

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