Fischende Flüchtlinge, ein Sturm – und die Sache mit dem Lebensnachweis..

Als ich vor einer Woche in Catania ankam, war überraschenderweise der allerbeste Platz noch frei: direkt über dem Meer auf einer Felsenklippenterrasse (auf etwa der Höhe eines dritten Stockwerks), unter mir das säuselnde Meer, die Felsen dekoriert mit Kormoranen beim Trocknen ihrer Flügel – und mit Möven, die sich wie Schneebällchen in der Sonne ausruhen, ehe sie für die Nacht aufs Meer hinausfliegen.

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Ankunft in Catania. Mein Ausblick von meiner ‘Lese-Lounge’ aus.. Rechts hinten ist die Stadt gerade noch zu erahnen.

Ein paar Tage später begann das Meer zu toben, und nun weiss ich, warum sich die Leute, die nicht zum ersten Mal hier sind, gerne etwas weiter hinten niederlassen.. Ich habe nicht viel geschlafen letzte Nacht, da ich den stetig wachsenden Wellen zusah, die mir alle paar Minuten mit einem lauten ‘Platsch’ eine Badewanne voller Salzwasser über das Auto schütteten.
Heute früh fand dann der grosse Rückzug statt auf der Terrasse. Ich stehe nun im Vorgarten meiner hinteren Nachbarn, zusammen mit den beiden Autos neben mir, deren Lenker wohl ebenfalls gedacht hatten, was für ein Glück sie doch hatten mit der ersten Reihe.. 😊
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Rechts vorne ist der Möwenfelsen, der links im Bild darüber so friedlich aussieht..

Flüchtlinge vor Sizilien

Als ich am ersten Morgen in Catania erwachte, sah ich vom Bett aus durch die Frontscheibe ein kleines Schlauchboot auf dem Meer treiben. Es hob und senkte sich mit den Wellen, die sich an der Felsenklippe gleich vor meinem Auto brechen.
Aus der Art und Weise, wie der Mann zusammengesunken im Boot sass, schloss ich messerscharf, dass es sich um einen entkräfteten Flüchtling handelt, der nicht weiss, wo er anlegen kann an dieser schroffen Küste.

Der Mann im Boot bewegte nur hin und wieder eines der beiden Ruder ein wenig; er war offensichtlich so schwach, dass er einfach nicht mehr tun konnte.
Da es eben erst hell geworden war und alle auf dem Platz noch schliefen, stellte ich mich mit meiner roten Jacke auffällig ans Geländer, damit der arme Kerl mir winken oder um Hilfe rufen könne.
Ich zog eben in Betracht, ein wenig auf- und abzuhüpfen, damit er mich auch wirklich sieht, da startete der Fischer im ‚Flüchtlingsboot‘ den Aussenbordmotor und summte davon..

Erst jetzt bemerkte ich, dass etwas weiter draussen ein weiteres halbes Dutzend dieser Boote trieb und sich immer mal wieder eines davonmachte.

Was ich daraus gelernt habe ? Nun ja, vielleicht, dass ich niemals jemanden retten sollte, ehe ich nicht meine ‚Betriebstemperatur‘ erreicht habe (nach ungefähr zwei Tassen Kaffee..).

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Juhuuu ! Ich lebe !

Gestern habe ich den dritten Anlauf genommen, um mir vom Schweizer Konsulat bestätigen zu lassen, dass ich noch lebe. Die AHV möchte das so und hat mir versichert, dass sie sich zwar über mein launiges Mail gefreut hätte, ein solches jedoch nicht reiche als Lebensbeweis.

Ich bin ja sehr dafür, dass sie das bewiesen haben wollen, denn als ich den Leuten erzählte, warum ich zurück nach Catania reisen müsse, habe ich haarsträubende (uralte) Geschichten gehört von tiefgekühlten Grossmüttern in der Kellertruhe, währenddem der Rest der Familie noch jahrelang von ihrer pünktlich eintreffenden AHV lebte.

Ich spare nach Möglichkeit mein Prepaid Guthaben und mache meine Recherchen immer dann, wenn ich Wlan habe. Also habe ich mir die im Internet publizierte Adresse des ‘Consolato di Svizzera’ notiert und festgestellt, dass diese gerade einmal 1.5 km von hier entfernt ist – sich also als netter kleiner Spaziergang anbietet.

Die Viale Alcide de Gasperi habe ich auch gefunden, bloss die Nummer 151 nicht. Von den fünf Leuten, die ich um Rat fragte, schickten mich drei die Strasse hoch, zwei die Strasse hinunter, und erst, als ich aufgeben wollte, lief ich geradewegs an die richtige Nummer  an der Strandpromenade, wo ich vor einer Stunde vorbeispaziert war..
Dort erfuhr ich dann, dass das Konsulat vor fünf Jahren umgezogen sei. Eine nette Dame am Empfang gab mir die neue Adresse, und nach meinem total 6-km-Spaziergang war ich wieder daheim und sah den Möwen müde zu beim Schlafen auf den Felsen.

Nun wusste ich also Bescheid und fuhr am nächsten Tag mit dem eBike 8 Kilometer weit einen steilen Berg hoch und kam zeitig und keuchend bei der Via Morgioni 41 im Bergdorf San Gregorio an. Jawohl, hier war ich richtig – sogar ein blechernes Schweizer Wappen lehnte rostend und etwas schräg an der Palme auf dem Vorplatz. Und dann machte mich eine männliche Stimme durch die Gegensprechanlage höflich darauf aufmerksam, dass heute niemand da sei…
Ich trank einen Cappuccino an der Sonne im Caffè um die Ecke und stellte fest, dass ich neuerdings ziemlich viel tue für meine Gesundheit. Für nichts anderes halt, aber immerhin für die Gesundheit.

Am nächsten Morgen kam dann der Notfallplan zum Einsatz: ich schaltete das Roaming ein, hatte die Honorarkonsulin Sandra Brodbeck am Telefon, wurde an eine Adresse mitten in der Stadt bestellt, und eine Stunde (und sechs lebensbedrohliche  Fahrradkilometer auf der vierspurigen Hauptstrasse) später hatte ich – gratis ! – meine Lebensbestätigung. Signora Brodbeck arbeitet dort nebenher als Rechtsberaterin, da der Konsulatjob nicht zum Überleben reicht.

Auf der Lebensbestätigung heisst es tatsächlich: Lebt, und dann folgen zwei Auswahlfelder, von denen eines angekreuzt werden muss vom Konsulat: JA oder NEIN. Ich habe wohl einfach Glück gehabt.

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Menschen unterwegs

5_Moni.jpgDas ist die Österreicherin Moni und das Innere ihres Autos.
Sie ist bereits seit neun Jahren ausschliesslich im Camper unterwegs ! Ich habe sie in Sampieri kennengelernt, und wir haben gemeinsam Modica besichtigt und hatten es kreuzfidel miteinander. Obwohl mir ihre Innendekoration extrem gut gefällt (sämtliche Wände sind voller Karten und Souvenirs, und am Boden stehen dicke Glasvasen mit Muschel- und Steinsammlungen), wäre mir nur schon das Abstauben zu aufwändig, also lasse ich es wohl doch bleiben..

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Catania, Campeggio Jonio.
Das sind Simone und Nicole. Simone war einst Intensivkrankenschwester und ist unterwegs mit einem kultigen, rostenden, 30jährigen VW T3 Bulli mit 400’000 km auf dem Tacho. Nicole habe ich im November in Sorrento kennengelernt. Sie kann inzwischen sehr gut italienisch und sucht eine Arbeit hier. Es ist allerdings nicht ganz einfach..

Da ich nun schon einmal hier bin, möchte ich mir auch den Rest von Catania noch ansehen.. 😊 Ich warte damit aber gerne, bis der Sturm sich ausgetobt hat.

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Die sizilianische Flagge

Rot ist die Farbe Palermos, gelb die Farbe der Stadt Corleone 60 km südlich von Palermo. Bei uns wurde sie vor allem als Sitz der Mafia und als Setting im Film ‘Der Pate’ bekannt. Das Bild in der Fahnenmitte zeigt die ‘Trinacria’ oder ‘Triskele’, deren drei laufende Beine das Dreieck Siziliens ebenso symbolisieren wie die Sonne und den Lebensweg.

Der Kopf war einst ein Abbild Medusas und wird manchmal noch mit den Schlangen im Haar dargestellt; in der offiziellen Flagge ist der Kopf jedoch jener von Ceres, der römischen Göttin des Ackerbaus. Die Ähren stehen für Fruchtbarkeit und die Flügel erinnern an den Götterboten Hermes.

Das Motiv der Triskele/Dreibeinigkeit stammt ursprünglich aus dem keltischen Raum und war damals eine symmetrische Dreifach-Spirale in einem Kreis (siehe Bild oben, rechts) – oder eben die laufenden Beine – als Symbol für den stetigen Kreislauf. Diese Dreiseitigkeit steht wahlweise für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, für Geburt, Leben und Tod oder für Körper, Geist und Seele. Sie findet sich in zahlreichen Familienwappen und in der Städte-Heraldik wieder, auch in England und Deutschland.

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Solche Pflanzentöpfe in Kopfform sind auf jedem Markt und auf vielen Balkonen zu finden

Die Legende besagt, dass eine schöne junge Frau auf dem Balkon in Palermo ihre Pflanzen pflegte, als zur Zeit der arabischen Herrschaft (von 827 bis 1061) ein junger, schöner Maure durch die Stadt ging und die Beiden auf der Stelle in Leidenschaft aufgingen. Leider war der Maure bereits verheiratet und hatte Kinder. Als die Sizilianerin erfuhr, dass sie nur eine Liebelei gewesen war für ihn, sann sie auf Rache, köpfte den Mauren, als er schlief – und benutzte seinen Schädel als Pflanzengefäss, um ihn fortan immer bei sich zu haben (Legenden sind oft sehr blutrünstig, oder ?).
Jedenfalls werden seither Keramikgefässe in der Kopfform der unglücklich Verliebten bepflanzt. Und hübsch sind sie auch.

Und weil das Unwetter so schön war (und ich davon etwa 200 Fotos gemacht habe..), gibt es hier nochmals ein paar Momentaufnahmen von vor dem Haus…

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Die Ortsnamen auf der Karte sind etwas unscharf, aber hier ist sie wieder, die Trinacria, dazu Siziliens Dreieck – und alle Meere, die es umschmeicheln oder umtosen..

4 Gedanken zu “Fischende Flüchtlinge, ein Sturm – und die Sache mit dem Lebensnachweis..

  1. Avatar von Henriette Streuli Henriette Streuli

    Liebe Rösli, du erlebst richtig viel und schreibst so humorvoll, es ist eine Freude zum lesen! In Oberrüti geht es gemächlich, wir reduzieren den Schafbestand, bis August sollten wir keine Schafe mehr haben, nur noch 4 Büsis.
    Wir wünschen dir viel schöne Begegnungen und Erlebnisse, vor Allem weil du jetzt wieder offiziel lebst, hahaha! Ganz liebe Grüsse von den Pensionären aus Oberrüti!

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    1. Liebe Henriette
      Manchmal brauche ch etwas länger…
      Da schau her: ihr macht tatsächlich ernst mit dem Abbauen der Schafherde. von einem reinen Ästhetik-Standpunkt aus SCHADE ! Mir haben die Tiere auf den Wiesen immer sehr gut gefallen. Ich verstehe es andrerseits gut – immerhin sind wir nun alle pensioniert 🙂 !!!
      Ja, jetzt, da es mich wieder offiziell gibt, sollte ich unbedingt irgendwohin reisen. Mach’ich – es eilt allerdings nicht, denn die Temperaturen sind noch nicht sehr frühlingshaft.
      Also bis nächtes Mal – liebe Grüsse ! Rösli

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  2. Avatar von Heike und Holger Heike und Holger

    Hallo Rosa,
    wir haben jetzt 10 Tage bei Torrenova auf dem Aggricamping gestanden. Morgen geht es weiter erst zum Markt in Capo Orlando, dann wollen wir nach Milazzo. Danach geht es zügig zurück nach „Italien“ – Richtung Pompeji, Neapel, Rom und leider so langsam weiter Richtung Heimat.
    LG von Heike und Holger

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    1. Liebe Heike, lieber Holger
      Wie war es auf dem Agriplatz in Torrenova ? Milazzo habe ich auch auf dem provisorischen Programm, weil man von da aus auf die Inseln schippern kann – Stromboli wäre schon spannend, oder ? Heute kommt eine Freundin aus der Schweiz in Catania an – mal sehen, wo es warm genug ist, dass sie im Zelt übernachten kann (irgendwie kommen wir dabei immer wieder auf Marokko zu sprechen)..
      Die Westküste Italiens ist laut Gerüchten hübscher als die Adria – also geniesst eure gemächliche Nordfahrt – und habt es schön ! Herzliche Grüsse ! Rosa

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