Bordeaux feiert die zwanzigste Ausgabe seines Weinfestes mit einem fünftägigen Fest entlang der Garonne-Quais im Port de la Lune. Dort stehen ganze Reihen von Degustations- und Essständen, man kann einem Fassmacher bei der Arbeit zusehen oder einer halbstündigen Einführung in die Kunst des Degustierens beiwohnen. Und der Quaimauer entlang haben dreissig grosse Segelschiffe angelegt zur Feier des Anlasses.





Am Donnerstag war die offizielle Eröffnung der Festlichkeiten durch Bordeaux’ Bürgermeister Alain Juppé.
Ich habe seine Rede gehört («Vive le vin ! Vive Bordeaux ! Vive la vie !», gesehen habe ich ihn aber nicht, da er in einer Fernseh- und Journalistentraube steckte. Ich hätte nicht gewusst, dass da jemand ‘Hohes’ zugang war, wären da nicht Bodyguards herumgestanden mit ihrer Hand in der ‘Einkaufstasche’..

Links im Gemenge steckt Alain Juppé. Warum sehen Bodyguards eigentlich alle ähnlich aus? Rechts: oha ! Le Monsieur de Mouton Cadet hat seine Sonnenbrille vergessen..
Die Segelschiffe sind eine Augenweide, auch wenn die Segel inzwischen gerafft sind. Nun ist es natürlich nicht so, dass ich gleich ausflippen würde, nur weil da ein paar richtig schöne Schiffe stehen mit Masten bis in den Himmel hinauf; ich bin ja eher der wasserscheue Typ. Ich habe also völlig gelassen einige der Schiffe besucht, in die Masten hinaufgesehen, die glänzenden Messingknäufe und kilometerlangen Leinen und Taue bewundert – und erst dann bin ich ausgeflippt !
Ich habe Hunderte von (Handy-) Fotos gemacht, und ehrlich gesagt bewegen sich die Schiffe auf den letzten Fotos ebenso wenig wie auf den ersten. Die Handy-Kamera hat sich hier ausserdem als völlig unzulänglich erwiesen angesichts der bildfüllenden Schönheiten, aber das tat meiner Begeisterung überhaupt keinen Abbruch..

Die ‘El Galeón’ haben Susy und ich auch im Hafen von La Rochelle angetroffen
‚KRUZENSHTERN ‚



Der russische Viermaster ‘Kruzenshtern’ ist mit seinen 114 Metern Länge das grösste Schiff hier – und gleichzeitig eines der grössten Segelschiffe der Welt. Es lief 1926 in Bremerhaven als ‘Padua’ und Handelsschiff für die deutsche Marine vom Stapel, wurde 1946 als deutsche Kriegs-Reparationsleistung an die Sowietunion übergeben und von dieser nach dem deutsch-baltischen Admiral Adam Johann von Kruzenshtern umbenannt.
Der Heimathafen der Kruzenshtern ist Kaliningrad, und dort ist es zum Schulungsschiff für angehende Offiziere geworden. Die Masten ragen schier endlos hoch in den Himmel, überall glänzt Messing und poliertes Holz, und überall hängen Leinen und Taue – wie auf allen Segelschiffen.



TARANGINI

Auf dem indischen Navy-Schiff ‘Tarangini’ (übersetzt ‘Die über die Wellen gleitet’) hat mich der junge Offizier ‘Sachin’ herumgeführt und erzählt, dass auch langjährige Seeleute noch seekrank werden und über der Reling hängen, wenn die Mastenspitzen weit genug ausschlagen bei Sturm. Na, das ist doch ein Trost für seekranke Amateure, die ins Schwitzen geraten auf der Meilen-Horgen-Fähre..

Sachin. Der Holzkasten über den Pollern, an denen das Schiff festgemacht ist, schützt die Matrosen in der Nähe vor der peitschenden Leine, falls eine reissen sollte
Offiziere und Matrosen polieren täglich Seite an Seite Holz- und Metallteile, um sie vor Verwitterung und Rost zu schützen. Sie teilen sich auch die Schlafsäle; nur der Kapitän, sagte Sachin, hat seinen eigenen Raum und führt ein extrem einsames Leben, da er laut Navy-Regeln ‘abgehoben’ bleiben soll aus Respekt-Gründen und nicht einmal mit der Mannschaft isst.
Ich hätte ja gerne die Unterkünfte besichtigt, aber mein Begleiter meinte lachend, dass sie dafür erst einmal zwei Tage lang aufräumen und putzen müssten da unten..
In Indien ist es also wie anderswo, ausser vielleicht, dass bisher noch keine Frauen dienen dürfen bei der Navy.

Ach ja: am Ende der Gangway standen immer zwei Offiziere, die bei jeder Frau, die an Bord kam oder von Bord ging, die Achtungsstellung einnahmen. Da während den Besuchstagen massenweise Besucher an Bord kamen, dürften ihre rechten Oberarme inzwischen deutlich muskulöser sein als die linken.


Eigentlich ist dies ja ganz zuerst ein «Fête du Vin», also hatte ich nach den Schiffbesichtigungen eine weitere Pflicht zu erfüllen, sozusagen.. 😊
Hättest du’s gewusst ? Das Weinanbaugebiet Bordeaux geniesst zwar weltweit hohes Ansehen, produziert jedoch gerade einmal 1,6% der weltweit registrierten Erträge. Interessant.
Für € 21.- erhielt ich ein Glas in einer neckischen Umhängetasche, eine Abbuchungskarte und die Berechtigung, bis Montag ein Dutzend Weine zu degustieren. Eigentlich hätte man jeweils 50ml erhalten sollen an den Ständen, aber die Ausschenker waren gut gelaunt und haben die Gläser beinahe gefüllt.
Anfangs habe ich wirklich degustiert, also vor Ort das Etikett studiert, mir die entsprechenden Traubeneigenschaften ins Gedächtnis gerufen, die Weinfarbe und Farbdichte definiert, das Bouquet ergründet und schliesslich einen feierlichen Schluck getrunken und die Aromen nachwirken lassen.
Nach einigen sehr vergnüglichen solchen Übungen nahm ich am nächsten Stand gleich zuerst einen kräftigen Schluck, dachte erfreut: «Jaaaa !», stellte danach fest, dass der Wein rot und ich am Pomerol-Stand war und meine ganze Weinweisheit aus «Feiiiiin» bestand. Da wusste ich, dass ich genug degustiert hatte für heute und es höchste Zeit wurde, etwas zu essen.. 😊
Der Gänse-Bauer höchstpersönlich hat mir an seinem Stand mein Sandwich mit warmen Entenbrustscheiben und Foie Gras belegt, dazu gab es Wasser, das (ebenfalls) wunderbar schmeckte – und am nächsten Stand eine süsse Crêpes mit Honig und Cognac (das war halt deren Spezialität…).
SPAZIEREN UND TRINKEN
Nach einer kleinen Eingewöhnungszeit empfindet man es übrigens als völlig normal, dass die Leute mit halbvollen Weingläsern in der Hand der Promenade entlangspazieren, immer mal wieder ihre Nase ins Glas stecken und tief inhalieren oder im Gehen einen Schluck daraus trinken.
Ich dachte ja, ich hätte das ultimative Talent für diskrete ‘Street-Photography’, sehe nun aber, dass mich die meisten meiner ‘unbemerkt aufgenommenen Leute’ angesehen haben – ähm… da hat wohl etwas nicht ganz planmässig funktioniert bei der Talentvergabe..
Dieser Monsieur spielt eine Cornemuse oder Sackpfeife, und es war ihm wichtig festzuhalten, dass es mitnichten die Schotten waren, die den Dudelsack erfunden hätten, sondern vielmehr die Perser ! Ah, bon.. Bei seiner Cornemuse kommt die Luft aus einem Blasbalg, den er mit dem rechten Arm betätigt während dem Spielen.
Am Freitag machte ich einen grossen Fehler: ich ging NICHT in die Stadt ! Als ich nämlich am Samstag wieder an die Quais kam, waren dort bereits Abertausende von Besuchern, und ich musste mit dem Strom fliessen, wenn ich nicht untergehen wollte. Zum Glück floss der Strom unweigerlich an die Degustationsstände, und da wollte ich ja sowieso hin.. 😊

Am Nachmittag fand die Parade der Schiffsmannschaften statt mit flotter Musik zwischen den Gruppen und Clowns unter den Mannschaften.
Ein Fest ! Tout Bordeaux (und ich) machten mit.


Sonntag Abend: ein Licht, wie ich es hier noch nicht gesehen hatte – fantastisch !

Montag, Ende der Festivitäten und Tag der Abreise für die Schiffe. Ich hatte mit einer Österreicherin vom Campingplatz abgemacht, sie um 9 Uhr abzuholen für diesen Anlass, sonst wäre ich nirgendwo hingegangen. Es regnete leicht, und alles war grau. Dann standen wir am Quai und wurden erfasst von der elektrisierenden Aufbruchstimmung aus gleichzeitiger Abreise-Euphorie und Abschieds-Melancholie, und das Spektakel war hinreissend vor der grau verhangenen Garonne.
Die Kruzenshtern hatte schon vor 8 Uhr bei Ebbe abgelegt, sonst hätte sie nicht unter der hochgezogenen Brücke Pont Jacques Chaban-Delmas durchgepasst.
Die anderen Schiffe lösten sich nach und nach vom Quai und gruppierten sich vor der Zugbrücke zur gemeinsamen Ausfahrt.
Die Brücke ‘Pont Delmas’ mit hochgezogenem Mittelteil. Die Schiffe formieren sich zur gemeinsamen Ausfahrt aus Bordeaux’ Port de la Lune
Die ‘Vera Cruz’ mit den Kreuzen auf den Segeln ist eine Karavelle, wie Heinrich der Seefahrer eine trägt auf dem Seefahrerdenkmal von Lissabon. Auf solchen Nussschalen – im Vergleich zur spanischen ‘El Galeón’ daneben – haben sich damals wagemutige Seefahrer über den Atlantik gewagt. Unglaublich, nicht ?
Auf der ‘Belle Poule’ steht ein einsamer Dudelsackbläser zwischen den beiden Masten, und die wehmütige Abschiedsmelodie klingt übers Wasser und passt herzerweichend gut zu diesem Morgen.

Nachdem die Schiffe den Hafen verlassen hatten, hörte es auf zu regnen, und bald schien sogar die Sonne.
Sieglinde und ich assen bei ‘ihrem Vietnamesen’ im Restaurant ‘Phood’ zu Mittag und tranken danach einen Kaffee vor dem Kino, das in eine Kirche hineingebaut worden war und in dem sie sich einen Film ansehen wollte.

Links ist der Kinoeingang in dieser ehemaligen Kirche – und die blonde Dame dort ist Sieglinde, die Österreicherin, die lieber französisch spricht als deutsch – gut, üben wir halt
Als ich wieder allein am Quai war, hatte ich gerade noch eine Stunde lang Zeit für die letzten drei Weine auf meiner Degukarte… Ich genehmigte mir gleich zuerst einen Crément mit champagnerfeinen Bläschen, gefolgt von einer frischen Weisswein-Assemblage (die sind hier oft aus viel Sauvignon Blanc mit etwas Chardonnay oder Sémillon), und zum Abschluss gabs einen Rotwein aus 80% Merlot mit etwas Cabernet Franc. Weil das Fest ja beinahe vorbei war und kaum noch Leute da waren, gabs auch jetzt wieder grosszügige Degu-Portionen… Das war genug für heute… 🙂
15.00 Uhr. Nun kam die Durchsage, dass das Fest hiermit beendet sei, Bordeaux sich artig bedankt für meinen Besuch und ich gebeten werde, einen ‘Sortie’ zu benützen.
Ich benützte also einen Sortie, erwischte am Ende der Tramfahrt gerade noch den Bus auf den Campingplatz und kam glücklich nach Hause.
Nach diesen fünf Festtagen ist mir Bordeaux so recht ans Herz gewachsen. Was für eine gastfreundliche Stadt ! Was für ein schönes Fest !

Wow, super Bilder hast Du da gemacht! Ich für meinen Teil hatte gerade Lust, Bordeaux ein bisschen zu besichtigen – vielleicht müsstest Du mal bei Boordeaux Tourismus anzuklopfen, ob sie dir nicht etwas schuldig wären?
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