Ein Ferienlager für die Alten

Santa Pola bei Alicante. ‘Bahia’ ist einer von den Campingplätzen, die vollbesetzt sind mit Leuten, die den Winter hier verbringen – viele auch den Winter des Lebens. Mein Standplatz ist gleich neben den Duschräumen und dem ‘Dorfbrunnen’ (also der Abwaschstation), wo immer viel geplaudert und gelacht wird, denn hier kennen sich die Leute zum Teil seit Jahren. Etwa alle Viertelstunde ‘schirggelet’ morgens ein Rollator vor, und jemand mit Gehbehinderung hievt sich am Geländer die drei Treppenstufen hoch zu den Waschräumen.

Erst dachte ich: «Ums Himmels Willen – bloss weg hier!», denn das Durchschnittsalter liegt nur deshalb bei etwa 75 Jahren, weil hier auch noch einige junge Gäste weilen, aber nun bin ich bereits seit drei Tage hier.

Ich habe festgestellt: es ist richtig gemütlich hier, sobald man aufhört, sich durch die nahen Nachbarn unangenehm beengt zu fühlen, sobald man es aufgibt, so wahnsinnig privat bleiben zu wollen, dass ja niemand weiss, was man so treibt den ganzen Tag.
Ich habe deshalb damit angefangen, meine Schiebetüre offen zu lassen, wenn ich hier bin, und als ich heute Mittag in der offenen Türe sass und Baguette mit Mozzarella und Tomaten ass mit den Füssen auf dem Trittbrett, wurde mir in vier verschiedenen Sprachen ‘Guten Appetit’ gewünscht. Hier herrscht eine Art gelassene Ferienlagerstimmung unter Senioren, und wenn ich mir’s recht überlege: warum auch nicht ? Mir soll’s recht sein. Privat ist man nach eingebrochener Dunkelheit wieder, wenn es drausse kühl wird und man die Verdunkelungs-Rollos schliesst.

Beat ist der Ehemann einer Schweizer Linedance-Kollegin und verbringt auch gerade ein paar Monate hier mit seinem Hund Chico. Er hat mich mit vielen praktischen Informationen versorgt und mich einigen seiner Bekannten hier vorgestellt. Einer davon, ein 57jähriger Belgier, lebt nach einem Motorradunfall, der ihn mit permanenten Rückenschäden zurückgelassen hat, seit neun Jahren ganz hier. Er bewohnt einen sehr grossen Wohnwagen mit einem ebenso grossen  Vorzelt (dessen Boden mit Laminat belegt ist!) und bezahlt € 260.- Platzmiete im Monat, Wasser und Strom inklusive. Dies als kleiner Tipp für Leute, die befürchten, dereinst nicht über die Runden zu kommen..

Heute um 11 Uhr wurde ich spontan zu einem Glas Weisswein eingeladen bei einem Schweizer Ehepaar aus dem Thurgau – und meine nette holländische Nachbarin hat meine ganze Wäsche an den Leinen um ihren eigenen Platz herum aufgehängt, als ich alarmiert feststellte, dass wir ja gar keinen Tumbler haben in unserer Ecke. Ein Trockner ist auch nicht wirklich nötig – es geht immer ein leichter (manchmal auch stürmischer) Wind, und in weniger als einer Stunde waren auch die Bettwäsche und Frottétücher trocken.

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Heute Nachmittag war es 25 Grad warm und windstill – perfekt für einen Veloausflug zum Hafen von Santa Pola.
Ich hatte Glück: die Fischerboote kamen eben von ihrem Fang zurück, und ihnen folgten wie Rauchfahnen ganze Möwenschwärme.

Am Quai wurden die Fische sortiert und in Kisten verpackt an Land gebracht, die Netze lang ausgezogen ausgelegt, und alte Männer sassen auf Schemeln und schnitten ausgediente Netze von den Tauen. Am Ende der Arbeiten schliesslich wurden die Kutter mit kräftigem Wasserstrahl gereinigt und die zu kleinen Fische dabei von Bord gespült – und nun  waren die Möwen dran und stürzten sich auf ihren Anteil.

Und über dem Ganzen lag der frische Duft von Fisch und Meer, hörte man das leichte Klacken von Leinen an Masten, den Ruf der Möwen und die gelegentlichen Scherze der Fischer untereinander.

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In der breiten Hafenpromenade setzte ich mich draussen in die beinahe leere Lounge von jener Bar, aus der gerade Freddie Mercurys ‘Great Pretender’ erklang. Ich trank ein Glas Wein, sah in den Sonnenuntergang und war von oben bis unten zufrieden.

 

2 Gedanken zu “Ein Ferienlager für die Alten

  1. Avatar von Vreni Dill Vreni Dill

    Guten Morgen Rösli
    Es ist immer wieder eine Freude deine Erlebnisse fast live miterleben zu können. Bist du heute 13.01. schon sooo früh aufgestanden um das alles zu schreiben, oder stellt sich das Datum automatisch ein?
    Ich bin heute das erste Mal, nach einer gestrigen langen Zugfahrt, auf Sylt aufgewacht. Heute beginne ich diese Insel bis nächsten Samstag zu erkunden. Ich bin gespannt!
    Geniesse weiterhin die Reise und die tollen Menschen, die nicht so tollen. ..einfach links liegen lassen….. hätte meine Mutter gesagt…😊😊😍

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    1. Sali Vreni
      Ich freue mich darauf, von deinen Eindrücken auf Sylt zu erfahren – da möchte ich nämlich auch gerne noch hin..
      Und was die Blog-Zeit betrifft: der Nachteil von ‚endloser Zeit‘ ist, dass ich sie öfter vergesse. Mal bin ich um 22 Uhr im Bett und manchmal ist es eher 2 Uhr morgens… Ich vermute, mit den Jahren wird sich eine gewisse Regelmässigkeit einpendeln…
      Und was die nicht so tollen Menschen betrifft: recht hatte sie, deine Mutter 🙂

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